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HalbEngel

HalbEngel

Titel: HalbEngel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tobias O. Meißner
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nicht klar ist, dass es überhaupt keinen Sinn hat, auf Michael Jacksons eigenem Terrain mit Michael Jackson konkurrieren zu wollen. Statt weiterhin das albern geschminkte, tanzende Sexteufelchen zu geben und zu versuchen, möglichst Pop zu sein, müsste Prince dem ganzen Scheiß den Finger geben, seine Blue Angel wieder aus dem Schrank holen und vielleicht ganz einfach den Blues spielen. Den besten und innovativsten Blues aller Zeiten. Er müsste lernen, mit Würde älter zu werden.«
    »Yo, da ist was Wahres dran. Stattdessen plündern ihn solche Babes aus wie einen brachliegenden Steinbruch und haben damit Erfolg. Neulich habe ich die CD von einem unverschämt talentierten jungen Schwarzen gehört. Der singt wie Prince, hat also auch alles von ihm gelernt, ihm alles zu verdanken, aber die Musik von dem Newcomer ist viel aufregender als der Mist, den Prince heutzutage macht. Damit schlägt er ihn. Damit schlägt er ihn zu Boden.«
    »Das Übelste, was einem passieren kann, ist, ein Schatten seines eigenen Talents zu werden.«
    »Hm.« Nick sah Floyd seitlich an und grinste. »Ist dieser Spruch von dir oder hast du ihn irgendwo her?«
    »Falls ich ihn irgendwo aufgeschnappt habe, habe ich vergessen, wo.«
    »Das bedeutet, dass wir heute eine kleine Abschiedsfeier feiern?«
    »Ich sehe keinen anderen Weg.«
    Nick seufzte. »Es gibt sicherlich fünftausend andere Wege. Aber keiner ist so schön dornig wie dieser.«
    Sie waren angekommen, das uralte, ranzig heruntergekommene Studio hatte auf, annähernd vierundzwanzig Stunden am Tag. Nick, der einen Namen hatte in diesen Räumen, sorgte dafür, dass der fette schwarze Chef selber den Toningenieur spielte und ein einfacher 4-Spur-Recorder bereitgestellt wurde. Floyd und Nick richteten sich in einem holzgetäfelten Aufnahmezimmerchen ein, das aussah, als hätten hier schon Nat King Cole und Mahalia Jackson ihre ersten Aufnahmen gemacht.
    So wie ein Crackhead auf Entzug sich verzehrt nach selbst einer Ahnung nur des paradiesisch tödlichen Rauches waren Floyd und Nick nach der grauenhaften Muzak-Diät des Abends ausgehungert nach echter Musik. Sie jammten los, Floyd bearbeitete die Les mit einer rauen Kratzigkeit, dass sie fast klang wie eine halbakustische Steelguitar. Nick shufflete und skifflete über die Felle wie durch hohes Gras und bearbeitete auch die silbern ächzenden Seiten der Drumkits, bis die goldüberkronten Zähne des Mixmasters das rußige Zimmer erhellten.
    Sie spielten ein paar Standards, ›The Natchez Burning‹, ›Killing Floor‹ und ›Iodine in My Coffee‹, dann noch eine verschrobene nacktgewetzte Version ihres eigenen ›Legless Bird‹, und rätselhafterweise auch eine Coverversion von ›Venus in Furs‹. Floyd spielte mit Nick den in Oklahoma komponierten Song ›No‹ ein – sozusagen in einer trockenen und Raum für Lücken lassenden Nihilismus-Version – dafür brachte Nick Floyd bei, über dem ›In the Sweet Embrace of Life‹-Thema von Wynton Marsalis’ ›In this House, on this Morning‹ zu improvisieren. Nick vertiefte sich dabei in etwas, was früher im Jazz einmal gang und gäbe gewesen war, was aber erst jetzt durch den Junkie-DJ Goldie wieder ins musikalische Bewusstsein zurückgerückt worden war: unaufhörliche rhythmische Variation, ein nicht enden wollendes Stück, das keine zwei Takte lang denselben Beat besaß, aber immer sich aufeinander beziehende oder sogar aufeinander aufbauende Rhythmusgerüste. Abschließend, so etwa gegen drei Uhr morgens in der Früh, erarbeiteten sie noch einen ganz neuen Track, den sie ›Let Me Be Your Whore‹ nannten und den sie beide feixend als MBMI s Abschiedskuss an den Rest der abgefuckten Welt bezeichneten. Kurz vor vier Uhr war der dicke Boss auf den Aufnahmekonsolen liegend eingeschlafen, die Masters liefen durch bis zum Anschlag, Nick rettete sie, bevor ein automatisches Replay sie wieder löschen konnte.
    »Eines Tages, wenn man in den Archiven kramen wird, um jeden noch so kleinen Schnipsel, den Floyd Timmen jemals irgendwie auf Band gebracht hat, ans Tageslicht zu zerren und in Goldplatinumauflage zu veröffentlichen, werden Masters wie diese ein Vermögen wert sein«, gähnte Nick.
    »Du kannst sie ja auseinanderschneiden. ›Let Me Be Your Whore‹ ist für Donelli und Sletvik.« Er hängte sich die körperwarme Les über die Schulter. »Was machst du jetzt noch?«
    »Ich werd mich auch hier irgendwo hinhauen. Mir gefällt die Vibe hier.«
    »Okay. Ich treib mich noch ein

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