Halbgeist: Roman
fest, dass ich wieder und wieder für einen kurzen Moment in einen traumlosen Schlaf abdriftete.
Ein paar Ewigkeiten später erkannte ich, dass ich eine Bewegung weit unter mir in den Wolken sehen konnte. Da war eine Serie ungleichmäßiger Lichterscheinungen, die gerade lange genug aufleuchteten, um sie zu registrieren, ehe sie wieder verschwunden waren. Wieder einmal Blitze, natürlich, aber was meinen Puls zum Rasen brachte, war die Erkenntnis, dass ich die Wolken auch zwischen den Blitzen sehen konnte. Im Habitat herrschte keine pechschwarze Finsternis mehr. Die Dunkelheit war zu einem düsteren Schleier geworden, der das allmähliche Aufleuchten der Sonnen nicht länger unterdrücken konnte.
Ich drehte mich nach rechts und links und machte etliche pelzige, nahezu reglose Gestalten aus, die während der ganzen langen Nacht über mich gewacht hatten. Es mussten Dutzende sein, für meine Augen nur als schwarze Schatten erkennbar. Ich konnte nicht erkennen, wie viele mir zugewandt waren und wie viele in eine andere Richtung schauten. Aber das machte auch nicht viel aus. Sogar in ihrer beinahe vollständigen Unbeweglichkeit waren sie sich meiner immer noch bewusst, maßen sie mich nach den Maßstäben von Kreaturen, die ihr Leben auf die einzige Art verbrachten, die sie kannten.
Ich sah mich nach einem mutmaßlichen Sprecher um und entdeckte einen in Form des nächsten Brachiators, eines großen schwarzen Schattens, der vielleicht fünf Meter von mir entfernt war.
»Ah ... hallo? Kannst du mich hören?«
Der schwarze Schatten schwoll unter einem frischen Atemzug an, ehe er wieder ausatmete. »Ja.«
»Bist du der, der sich Freund der Halbgeister nennt?«
»Ja. Es ist eine Freude, jetzt auch dein Freund zu sein, Andrea Cort.«
Ich räusperte mich. »Dann bin ich jetzt ein Halbgeist?«
Ein weiterer polternder Atemzug, akzentuiert von einem niedlichen kleinen Pfeifen. Vielleicht war der Brachiator erkältet. »Du warst während des größten Teils der Nacht Halbgeist.«
»Mehr braucht es nicht? Es reicht, hier zu hängen?«
»Es reicht, eine Verbindung zum Leben zu haben.«
Ich fragte mich, ob die Brachiatoren sich gegenseitig üblicherweise langweilten, bis ihnen die Tränen kamen, oder ob sie nur dann so sprachen, wenn Menschen in der Nähe waren. »Was ist mit dem anderen Menschen, mit dem ich letzte Nacht gesprochen habe? Es war doch einer hier, nicht wahr?«
»Es war mehr als einer.«
»Wann?«
»Zuerst war da der Eins-in-Zwei. Der, der dich hergebracht hat.«
Offensichtlich die Porrinyards. Dumm von mir, mich nicht präziser ausgedrückt zu haben. Und beeindruckend, dass der Brachiator ihre Natur so prompt erkannt hatte. »Und nach ihnen?«
»Noch jemand.«
»Wann?«
»Nachdem der Eins-in-Zwei fort war.«
»Hast du mich mit diesem anderen Menschen reden gehört?«
» Ja .«
»Weißt du, worüber wir gesprochen haben?«
»Wir belauschen keine Gespräche, die uns nichts angehen.«
Das klang förmlich. »Es macht nichts, wenn du etwas mit angehört hast.«
»Wir hören nichts, wozu wir nicht eingeladen werden.«
Brachiatoren, so entschied ich, waren die nutzlosesten Zeugen des Universums. »Hast du den Menschen erkannt, mit dem ich gesprochen habe?«
»Durch seinen Leumund«, sagte Freund der Halbgeister.
Diesen Begriff hatte ich im Wortschatz der Brachiatoren nicht erwartet. »Welche Art Leumund?«
»Der eines Geistes, der Geister tötet.« Er hörte sich bockig an, als hätte die Antwort derart auf der Hand gelegen, dass ich durch die bloße Frage seine Zeit in unangemessener Weise vergeudete.
»Weißt du zufällig, ob es ein Mann oder eine Frau war?«
»Es fällt uns schwer, die Geschlechter von Geistern zu unterscheiden.«
»Aber du kannst den Unterschied zwischen Neugeistern und Halbgeistern erkennen, richtig?«
Freund der Halbgeister hörte sich beinahe amüsiert an. »Ja. Das ist einfach.«
»Wie funktioniert das?«
»Halbgeister sind vom Leben gezeichnet.«
»Bin ich vom Leben gezeichnet?«
»Jetzt bist du es.«
»Und das kannst du erkennen?«
»Das ermöglicht uns, Freunde zu sein.«
Beinahe hätte ich meine gewohnheitsmäßige Antwort auf Freundschaftsangebote rezitiert: diejenige, die besagt, dass ich weder Freunde wolle noch auf der Suche nach Freunden sei. »Danke.«
»Gern geschehen«, sagte Freund der Halbgeister.
Er war bestenfalls höflich, aber er empfand keine Zuneigung mir oder sonst jemandem meiner semi-lebendigen Art gegenüber. Das Eindringen
Weitere Kostenlose Bücher