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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Charakter hätte verleihen können. Dennoch war es auch nicht die sonderbare Nichtstimme, die ich trotzdem hören konnte, welcher sich die KIquellen bedienten.
    Diese Stimme war menschlich und zugleich bar aller Menschlichkeit.
    Ich war weder verwundert noch alarmiert. Eher schon wäre ich besorgt gewesen, hätte der Zwischenrufer sich heute Nacht nicht gemeldet. Aber da ich von Brachiatoren umgeben war und nicht wollte, dass sie unseren eher unfreundlichen Wortwechsel als Angriff gegen sich missverstanden, aktivierte ich den Zischschirm, ehe ich antwortete: »Ja, das weiß ich. Kannst du mich hören?«
    »So klar und deutlich, wie ich deine Schreie hören werde, wenn du abstürzt.«
    Meine Fähigkeit, Furcht zu empfinden, operierte derzeit auf höchster Leistungsstufe und konnte weiteren Belastungen nicht standhalten. Aber ich lächelte, um meine Wertschätzung für die schnippische Antwort zu demonstrieren. »Ist eine Weile her, seit ich das letzte Mal von dir gehört habe.«
    Was immer die Gefühle aus seiner Stimme saugte, es machte den offenkundigen Versuch, mich anzuschnauzen, ebenso zunichte. »Ich dachte, du wärest klug genug zu erkennen, dass du der Verlierermannschaft angehörst.«
    »Und ich dachte, du wärest klug genug zu begreifen, dass ich mich niemals einer Mannschaft anschließe.«
    »Niemand von uns ist frei, Andrea. Wir gehören immer zur einen oder anderen Seite. Möglicherweise erkennen wir nicht, um welche Seite es sich handelt, aber das hat mehr mit unserer eigenen Blindheit zu tun als mit unserer albernen, illusorischen Überzeugung, wir wären neutral. Tatsächlich funktionieren wir gerade so weit, wie es uns durch diejenigen gestattet ist, die wirklich die Fäden in der Hand haben.«
    Etwas regte sich in der Finsternis. Etwas, das sich schneller zu bewegen schien, als irgendein Brachiator es von Rechts wegen können dürfte.
    »Die meisten von uns sind nicht einmal Schachfiguren. Wir belegen lediglich Platz und machen die Dinge für diejenigen, die wirklich etwas bewirken, ein bisschen schwieriger. Selbst jene unter uns, die eine Rolle in dem Spiel innehaben, werden doch nur auf dem Spielfeld hin- und hergeschoben und sammeln ein paar kleine Punkte. Wir arbeiten auf den Moment hin, in dem es uns gelingt, einen flüchtigen Vorteil für unsere Seite zu verbuchen. Das ist gewiss kein angemessenes Leben für eine empfindungsfähige, intelligente Person.«
    »Und darum bist du hinter mir her?«, fragte ich. »Um mich von meinem Elend zu erlösen?«
    Der Zwischenrufer stieß ein krankes, schmerzgeplagtes Gelächter aus, angefüllt ebenso von Selbstmitleid wie von purer Bosheit. »Ich sagte, die meisten von uns, Andrea. Ich habe mir lediglich eine längere Leine zugelegt.«
    Ich befreite meinen rechten Arm und tastete nach meinem Gürtel, öffnete etwas, das ich, sollte ich in die Lage geraten, mich verteidigen zu müssen, aus meiner Tasche geholt hatte, und fluchte aufgebracht, als es meinen Fingerspitzen entglitt und für immer in der Dunkelheit verschwand. Nun ja. Das war lästig.
    »Ich wusste von dir«, fuhr der Zwischenrufer fort. »Ich habe von dir gelesen. Ich habe alles darüber in Erfahrung gebracht, wie verhasst du bist und wie wenig dich das interessiert. Ich hielt dich für meine Heldin. Ich wollte nicht, dass du hier gegen mich arbeitest. Als ich erfuhr, dass du kommst, habe ich getan, was ich konnte, um dich zu vertreiben.«
    Das dürfte sich auf die erste der Botschaften beziehen, die ich nach dem Interschlaf erhalten hatte.
    Ich zog etwas anderes aus meinem Gürtel hervor: eine winzige Disk, gerade so groß wie mein Fingerknöchel, die sogar in dieser nahezu totalen Finsternis noch genug Licht einfing, um im Dunkeln zu glänzen. Ich schwang sie in einem unbeholfenen Bogen vor mir her, ohne zu wissen, wo zwischen mir und dem Zwischenrufer dieser Bogen war, während mir das Wissen, dass es so oder so kaum von Bedeutung war, den Schweiß aus den Poren trieb.
    »Erwartest du von mir, dass ich darin eine Art Waffe erkenne?«
    Ich achtete darauf, mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Mir ist egal, was du worin erkennst. Mich interessiert, was du weißt. Und wie du selbst eingestanden hast, weißt du, welche Art Mensch ich bin, was ich getan habe und wie wenig mich das alles kümmert. Du weißt, dass ich nicht zögern würde, eine Explosion auszulösen, die alles in einem Umkreis von hundert Metern von hier in Brand setzen würde, wenn ich dich damit nur loswerden kann.«
    Stille. Dann:

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