Halbgeist: Roman
Intelligenzen getroffen wurden, sie in niedrigerer Lage aufzufangen. Da sie die Werkzeuge in Händen hielt, war sie vermutlich angewiesen worden, eine etwas subtilere Form der Sabotage zu bewirken und bei einem daraus resultierenden ›Unfall‹ zu verschwinden, ohne Gibbs Leuten den geringsten Anlass zu Misstrauen zu liefern. Hätte sie diese Angelegenheit korrekt erledigt, hätte niemand in ihrem Tod etwas anderes gesehen als eine einfache sinnlose Tragödie.
Aber sie hat gepfuscht. Sie hat ihre Hängematte auf spektakuläre Art einstürzen lassen, ein Einsturz, wie er sich noch nie zuvor ereignet hat, was wirklich jedem verdächtig erscheinen musste, und sie hat genug physische Beweise zurückgelassen, um einwandfrei nachzuweisen, dass es kein Unfall gewesen sein kann.
Warum? Das ist eigentlich nicht wichtig, aber es gibt eine Vielzahl möglicher Erklärungen. Vielleicht war sie so arrogant, dass sie sich gar nicht vorstellen konnte, nicht damit durchzukommen. Vielleicht war sie auch einfach nur inkompetent, und vielleicht brauchte sie eine Ausrede dafür, die Leute zu terrorisieren, die sie im Stich gelassen hatte.
Auf jeden Fall hat sie schlampig gearbeitet.
So schlampig, dass sie es nicht einmal geschafft hat, ihren Tod in passender Weise vorzutäuschen, und das an einem Ort, der so gefährlich ist, dass schon ein Augenblick der Unaufmerksamkeit fatal enden kann.
Die offenkundige Sabotage hat allen den fehlerhaften Eindruck vermittelt, die KIquellen hätten begonnen, Menschen umzubringen, eine Hypothese, von der die KIquellen sehr richtig erklärt haben, dass sie keinerlei Sinn ergäbe, auch wenn sie als Erklärung herhalten musste.
Die KIquellen hätten sich einfach zu Wort melden und verkünden können, dass Santiago noch am Leben war. Aber dann hätten sie notwendigerweise offenlegen müssen, dass sie zugleich aktiv Überläufer aus dem Dip Corps rekrutierten, was einen gewaltigen Aufruhr nach sich gezogen hätte. Zwar hätten sie die Macht gehabt, die Wogen wieder zu glätten, aber das Ganze wäre teuflisch unangenehm gewesen. Nein, für sie war es vorläufig besser gewesen, exakt das zu tun, was sie tatsächlich getan hatte: schlicht alles abzustreiten und zu schauen, was weiter passierte.
Aber da war immer noch Santiago.
Die abtrünnigen Intelligenzen hätten ihr ihren Pfusch vergeben und daran arbeiten können, sie in einer Weise zu rehabilitieren, die sie zu einem Gewinn in ihrer Sache gemacht hätte. Aber sie hätten auch den Weg, den andere Regierungen in Hinblick auf zur Last gewordene Agenten zu wählen pflegen, einschlagen und sie schlicht und einfach unschädlich machen können.
Aber, wie mir die KIquellen ausführlich dargelegt haben, sie sind fasziniert von außergewöhnlichen Gedankenmodellen, zu denen Santiagos zweifellos zählte. Sie sind so fasziniert, dass sie es vermeiden, Einfluss auf die Handlungsweise ungewöhnlicher Charaktere zu nehmen. Ihre abtrünnigen Intelligenzen, die ein begründetes Interesse daran haben, all das zu lernen, was die Majorität lernt, mussten ebenso empfunden haben, weshalb sie Santiagos Taten mit immensem Interesse verfolgt haben.
Aber wie lange genau haben sie gebraucht, sich dafür zu entscheiden, sie tun zu lassen, was sie wollte?
Hier betrete ich das Reich der Vermutungen, aber ich denke, es gibt einen Grund, warum zwischen ihrem Überlaufen und ihrem Attentat auf Cynthia Warmuth so viel Zeit vergangen ist. Ich denke, die Abtrünnigen haben diese Zeit damit verbracht, sie eingehender zu studieren, und sind zu dem Schluss gekommen, dass sie mehr war als ein potenzieller Agent, dass sie eine dieser speziellen Persönlichkeiten war, die sie so sehr schätzen. Und es lässt sich nicht ansatzweise sagen, wie anstrengend diese eingehende Prüfung ihrer Person für Santiago selbst war. Ich glaube nicht, dass dabei irgendeine Form physischer Misshandlung im Spiel war, aber sie beinhaltete eine lange Zeit der Isolation in der Gewalt von Intelligenzen, deren Gespräche mit ihr mutmaßlich ähnliche, das Ego ramponierende Offenbarungen umfassten wie diejenigen, die die KIquellen mir mit dem größten Vergnügen haben zuteilwerden lassen. Zu erfahren, was wir für sie sind, hat mich so hart getroffen wie nichts zuvor ... und ich bin nur ein emotionales Nervenbündel, dem man die Kurzversion im Zuge einer Audienz hat zukommen lassen, die keine Stunde gedauert hat. Santiago, die schon vorher eine Misanthropin war, eine Unzufriedene und, wie wir inzwischen
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