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Halbgeist: Roman

Halbgeist: Roman

Titel: Halbgeist: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam-Troy Castro
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Menschen noch frisch war, riss sich niemand darum, erneut einen dauerhaften Stützpunkt einzurichten. Außerdem musste jeder Wiederaufbau warten, bis New London neues Baumaterial geschickt hätte. Folglich sollte der Hangar für die absehbare Zukunft das einzige Zuhause der menschlichen Delegation bleiben.
    Lastogne erklärte die Angelegenheit ebenso wie der Großteil seiner Leute für erledigt, aber eine gewisse Anzahl von Mitarbeitern zeigte sich überaus argwöhnisch. Und so war Oskar Levine nur einer von vielen, die mich in den Folgetagen unter vier Augen konfrontierten: »Ich weiß nicht, Counselor, sind Sie mit dieser Lösung zufrieden?«
    Ich sah ihn gar nicht an. »Sie nehmen ihr das Geständnis nicht ab?«
    »Nein«, sagte Levine. »Sie ist schuldig, einverstanden. Das fühlt man, sobald man sie nur ansieht.«
    Ich behielt die Bemerkung für mich, dass bloßes Gefühl als Beweis noch nie getaugt hatte, denn das wäre wohl die dümmste aller möglichen Entgegnungen gewesen. Santiago sandte das Bewusstsein um ihre Verbrechen so klar und deutlich aus, wie es ein Mörder nach meiner Erfahrung nur tun konnte. Außerdem strahlte sie eine tiefe Zufriedenheit angesichts ihrer schaurigen Leistungen aus, gepaart mit der Verzweiflung darüber, wie vollständig diese sie zerstört hatten.
    Levine fuhr fort: »Sie hat Warmuth gehasst, insofern ergibt dieser Teil wenigstens ein bisschen Sinn. Aber was ist mit dem Rest? Woher hatte sie die Werkzeuge, die sie gebraucht hätte, um die Taue zu sabotieren? Wo hat sie sich anschließend versteckt? Wie ist sie innerhalb des Habitats von einem Ort zum anderen gekommen? Was, um Gottes willen, hat sie gedacht, damit zu erreichen? Es sieht nicht so aus, als würden wir von ihr noch irgendetwas darüber erfahren, und die KIquellen sind nicht bereit, ihr Wissen mit uns zu teilen. Wer bleibt da noch?«
    Ich zuckte mit den Schultern. »Vielleicht die Brachiatoren.«
    Wir wussten beide, dass das kein ernst gemeinter Vorschlag war. Die Brachiatoren waren die letzten Kreaturen, denen irgendjemand ein tieferes Verständnis für die wirren Motive zugetraut hätte, die sich hinter Verbrechen unter Menschen verbergen.
    »Mehr fällt Ihnen nicht dazu ein, Counselor?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Und ich fürchte, dass das nun auch nicht mehr meine Aufgabe ist.«
    Levine bedachte mich mit dem Blick eines Mannes, der sich in einem Paddelboot durch Stromschnellen quält. »Sie kommen mir nicht wie ein Mensch vor, der sich mit einem Minimalergebnis zufrieden gibt.«
    »Das bin ich auch nicht. Aber wir werden nicht mehr erfahren, wenn wir es nicht von Santiago hören, und sie wird bei dem bleiben, was sie bisher gesagt hat, es sei denn, sie beschließt irgendwann zusammenzubrechen. Sie endlos zu befragen fällt nicht in meinen Verantwortungsbereich. Von hier an wird New London übernehmen müssen.«
    Meine Worte stimmten ihn nicht eben glücklich. »Scheint so. Danke, Andrea.«
    Natürlich hätte ich ihn scharf zurechtweisen können, da er meinen Vornamen gebraucht hatte, aber im Lauf der letzten paar Tage war ich im Umgang mit derlei Dingen etwas lockerer geworden. »Das, was ich Ihnen gesagt habe, meine ich ernst. Versuchen Sie nie, Ihre Bürgerrechte innerhalb der Konföderation zurückzufordern, ohne mich vorher zu konsultieren. Ich würde es nur sehr ungern sehen, würden Sie Ihre Immunität gegen einen lebenslangen Aufenthalt in einer Zelle austauschen.«
    »Ich auch«, sagte er und seufzte. »Ich wünschte, ich könnte ein Mensch sein, ohne mich mit den Menschen in verantwortlichen Positionen herumschlagen zu müssen. Ein Verräter zu sein, und sei es nur auf dem Papier ... das ist nicht immer so einfach.«
    »Ich weiß«, sagte ich und ließ ihn in dem Glauben, meine Worte seien nur Ausdruck des Mitgefühls.
    Er war alles andere als naiv. Aber es wäre schön gewesen, wenigstens in diesem Maß auf Unschuld plädieren zu können. Stattdessen hatte ich unerledigte Dinge vor mir, von denen einige noch belastender sein würden als das, was ich gerade hinter mir hatte.
    Von denen ich einige in Angriff nehmen musste, ehe ich One One One verlassen konnte.
    Um einen Teil davon kümmerte ich mich auf einem Gleiter, der unter den zerfetzten Überresten von Hängemattenstadt verharrte.
    Ich blickte über den Rand, zwang mich, jeden Meter offenen Raums zwischen mir und den tödlichen Wolken weit unter mir zu fühlen, suchte nach den Wogen des Schwindelgefühls, die mir die Sinne rauben

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