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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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konnten. «Wie schön, dass das
Objektiv
den Bericht bringt. Sinclair Bess hat uns auf die Idee gebracht, bei dieser ungewöhnlichen Fahrt ein Presseteam anzuheuern. Nun, bisher haben wir ja auch nur recht unattraktive Containerschiffe und Autofähren zur Nordsee gebracht, da hielt sich das Interesse der Medien in Grenzen. Ich hoffe, Frau John steht Ihnen gut zur Seite und bringt Sie in die Ecken des Schiffes, die Sie sehen wollen.»
    «Das wird sie sicherlich tun», antwortete Leif förmlich.
    «Sie haben das Foto mit dem Kind gemacht?», fragte Schmidt-Katter in Carolins Richtung.
    «Dies und noch einige mehr, ja!» Nun gaben sie sich die Hand, alle drei artig im Kreis, doch nicht zu steif, eher freundschaftlich. Die Atmosphäre war wirklich entspannt.
    «Machen Sie was Schönes mit dem Schiff, bitte! Ihr Chefredakteur hat mir versprochen, dass er mit Ihnen sein bestes Team geschickt hat, und darüber bin ich natürlich sehr froh. Die
Poseidonna
ist eine Schönheit, sie hat es verdient, dass man sie gebührend porträtiert. Sie und die fünftausend Arbeiterinnen und Arbeiter, die direkt oder indirekt an diesem Luxusliner mitgewirkt haben.»
    Carolin pfiff anerkennend und verteilte ein wenig Blätterteigpastete im Raum, weil sie vergessen hatte, dass sie den Mund voll hatte.
    Schmidt-Katter ignorierte den Fauxpas. «Ja, wir sind hier der Arbeitgeber Nummer eins. Zweitausend eigene Angestellte und nahezu fünfzig Zulieferbetriebe. Wir sorgen fürdas tägliche Brot zahlreicher ostfriesischer Familien.» Er verteilte die Gläser und hob das seine in Augenhöhe. «Wenn wir morgen auf der Ems in Richtung Nordsee schippern, dann werden Sie links und rechts die Schaulustigen auf den Deichen stehen sehen. Die Überführungen werden hier in Ostfriesland zu richtigen Partys. Wir haben sogar Fanclubs, die aus dem Umland anreisen und entlang des Flusses ihre Zelte aufschlagen.» Schmidt-Katter war enthusiastisch wie der Trainer einer erfolgreichen Fußballmannschaft, doch nun machte er eine kurze Pause und schaute nachdenklich in sein Champagnerglas. «Unsere Schiffe sind Produkte, auf die eine ganze Region stolz ist wie auf das eigene Kind. Machen Sie eine Reportage, die sich all die Familien stolz und glücklich einrahmen und neben ihre Hochzeitsfotos an die Wand hängen können.»

Marten
    «Nein, um Himmels willen! Nein!», schrie er. Seine Arme und Beine waren so eng geschnürt, dass er aussah wie eine Raupe. Er lag auf dem Boden. Man meinte, seine Panik riechen zu können. Es war verdammt heiß hier. Und er stank bestialisch.
    Seit drei Stunden ging das nun schon so. Er hörte nicht auf. Verdammt nochmal, warum schrie er immer noch so herum? War sein Hals nicht bald zu trocken dazu? Bei dieser Hitze ununterbrochen um Hilfe betteln, da musste man wirklich Todesangst haben, wenn man das aushielt.
    Doch Marten war ungerührt. Wirklich, er wollte nicht nur den Schein erwecken, er saß tatsächlich da und seinPuls ging gemächlich spazieren. Er schwitzte noch nicht einmal, er saß nur da und blickte den Schreienden an. Durch die stark verdunkelte Schutzbrille konnte er nicht viel erkennen. Doch die Angst des Mannes war nicht zu übersehen.
    Vor einem Dreivierteljahr war Marten noch ein ganz anderer Mensch gewesen. Damals hätte er nie gedacht, dass er einmal völlig unbeteiligt die Angst eines Menschen hinnehmen könnte. Vor neun Monaten hatte er noch darüber nachgedacht, ob er mit dem anstehenden Weihnachtsgeld in die Dominikanische fliegen oder sich einen Video-Beamer für das Wohnzimmerkino leisten sollte. Vor einem Dreivierteljahr konnte er keiner Fliege etwas zuleide tun, hatte noch drei geregelte Mahlzeiten am Tag auf dem Tisch und mindestens sieben Stunden Nachtschlaf gehabt.
    Und nun war er ein Peiniger. Genau das Gegenteil von dem, was er noch vor einem Dreivierteljahr gewesen war.
     
    Wie in einem abgedroschenen Film begann es mit einem Brief. Einem harmlos aussehenden, länglichen Brief mit transparentem Adressfeld, in dem Marten seine Anschrift lesen konnte. Und schmal darüber der Absender: Schmidt-Katter-Werft AG Leer.
    Er hatte den Brief erst einen Tag später aufgemacht, weil er sich eh denken konnte, dass man ihm seine Entlassung mitteilen wollte. Genau wie bei Rüdiger und Bert, bei Gertrud und Florian. Sie alle hatten einen solchen Brief bekommen, und bei allen hatte dasselbe dringestanden:
    Aufgrund betrieblicher Einschränkungen, die durch die rückläufige Auftragslage unumgänglich geworden sind,

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