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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Hocker gekauert. Die Dinger waren üppig, mit barock gedrechselten Beinen aus Kirschbaum, die Sitzfläche mit Brokat bespannt. Ein wenig dekadent für Pieters Geschmack, wie so ziemlich alles, was an Bord der
Poseidonna
stand, wie es das ganze Schiff selbst war. Doch da der ausladende Sitz Platz bot, um sich darunter zu verstecken, begrüßte Pieter in diesem Fall den penetranten Größenwahnsinn der Innenarchitekten.
    So war er also offiziell von Bord und inoffiziell im Inneren eines Kartons wieder zurückgekehrt. Besser ging esnicht. Und nun fuhr der Pott. Rückwärts, damit die Schrauben wühlen konnten. Pieter wusste, dass man von dem Chaos, welches unter dem Kiel herrschen musste, hier oben an Deck nichts mitbekam. Vielleicht waren sie deswegen so gleichgültig dem Schaden gegenüber. Sie merkten einfach nichts davon.
     
    Pieter konnte sich für viele Dinge begeistern: für den Kormoran, der morgens auf dem Deich vor seinem Fenster saß und die schwarzen Flügel im Wind trocknen ließ, für den öligen Geruch der Rapsfelder hinter seinem Haus, für die verworrenen Linien der Gezeitenströme im Wattenmeer.
    «Du liebst die Natur, genau wie deine Mutter es getan hat», hatte sein Großvater immer gesagt. Dieser Satz hatte Pieter geprägt. Er hatte seine Mutter nicht kennen gelernt. Sie war bei einem Autounfall gestorben, als er noch sehr klein gewesen war. Er hatte überlebt. Die Tatsache, dass er dieselben Dinge liebte wie sie, machte ihn glücklich.
    Als Pieter noch ein Kind war, waren er und sein Großvater immer gemeinsam an den Fluss gegangen. Sie hatten die Angelleinen in der Strömung beobachtet und geschwiegen. Nur ganz selten hatte wirklich ein Fisch angebissen, und dann hatte sein Großvater wortlos und ohne großes Aufsehen mit einem Messer den Kopf abgetrennt. Pieter hatte nie etwas von ihrem Fang gegessen. Aber trotzdem gehörten die Angelnachmittage mit seinem Großvater zu den besten Erinnerungen seiner Kindheit. Er sah sich in Gedanken noch dort stehen, dort, wo das Dollartsperrwerk nun den Fluss einschnürte wie ein zu enger Gürtel. Das sandige, flache Ufer, an dem sie damals gestanden hatten, war inzwischen mit Beton begradigt.
    Man konnte heute nicht mehr dort stehen und angeln.Die Strömung war inzwischen viel zu stark, das Wasser viel zu tief. Alles hatte einem Zweck zu dienen und musste dementsprechend manipuliert werden. Nichts war mehr natürlich.
    Und bald würde nichts Lebendiges mehr da sein.
     
    Er schob die rote Plane nach oben. Da standen so viele Menschen und winkten. Und diese Menschen sahen glücklich aus. Waren er und seine Leute eigentlich die Einzigen, denen es widerstrebte, was hier geschah?
    Er selbst hatte die Idee gehabt. Die Gruppe hatte ihn zuerst skeptisch beäugt. Zu gefährlich, hatten sie gesagt. Es wird nicht funktionieren. Direkt an Bord, direkt beim Feind. Ein hohes Risiko, das wussten sie alle. Jaja, natürlich wollten sie, dass endlich einmal deutlich wurde, worum es ging. Dass sie keine weichgespülten Anarchos waren, sondern ein klares und ein wichtiges Ziel verfolgten. Keine weiteren Eingriffe in den Lauf des Flusses. Keine weitere Manipulation der Ems zugunsten der Schiffsüberführungen. Leer war einfach nicht der richtige Ort, um riesige Schiffe zu bauen. Sie hatten lange gezweifelt, dass sein Plan funktionieren würde. Was willst du mit einer Fotografin anfangen? Sie wird uns auslachen, wie uns all die anderen auch auslachen. Lass es bleiben, das ist es nicht wert!
    Doch Pieter hatte eine wunderbare Eigenschaft. Er war ein Mensch, an dem niemand so schnell vorbeikam. Ein Mensch, der seine Ideen nicht nur mit Worten und Gesten vermitteln konnte, sondern sich in die Mitte eines Raumes stellte, tief durchatmete und jedem die Sicherheit gab, dass es sich lohnen würde, mit von der Partie zu sein. Er hatte sie alle überzeugt.
    Und nun saß er hier im Rettungsboot und war sich sicher,zuerst die Fotografin auf seine Seite zu bekommen und dann auch die Menschen dort unten zu überzeugen.
    Pieter schaute auf seine Uhr. Bislang lief alles reibungslos. Bis auf diesen seltsamen Mann, der gegen das Rettungsboot gebollert hatte, lief alles zickzack.
    Keiner außer ihm wusste, dass in drei Minuten die Fahrt der
Poseidonna
bereits vorüber sein würde.

Carolin
    Ebba John wirkte gehetzt. Sie rief schon aus einiger Entfernung Carolins Namen. «Halt, warte einen Moment!»
    Carolin blieb stehen. Sinclair Bess war ohnehin einige Schritte hinter ihr zurückgeblieben und

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