Halbmast
Ein Theater, auf dem eine eigene Musical-Company jeden Abend den Broadway an Bord holt. Ein Casino, ein Cinema, eine Shoppingmeile, you know, man bekommt dort alles, von Souvenirs bis Haute Couture. Beautyshops, Saunalandschaft, acht Pools, davon der größte oben an Deck, fünfundzwanzig mal neun Meter, beschichtet mit opalblauem Marmorkies. By the way, für alle Fälle haben wir eine Krankenstation mit kleinem OP und Röntgenapparat. Sogar zwei Kühlräume for bodys.»
«Leichenräume?»
«Passieren kann viel, wenn man auf See ist. Und die
Poseidonna
wird manchmal drei Tage ununterbrochen unterwegs sein. Mit mehreren tausend Leuten an Bord. Zweitausendfünfhundert Passagiere, siebenhundertfünfzig Mann Besatzung.»
«Und was passiert mit dem Müll?», fragte Carolin und schämte sich im gleichen Moment, weil sie so pietätlos von verstorbenen Menschen auf Entsorgungsprobleme übergeleitet hatte.
«Typisch für euch Deutsche. Ihr denkt immer an diese Sachen. So ordentlich. Aber natürlich haben Sie Recht. Wir produzieren auf einer solchen Fahrt viel Müll. Es gibt Container, in die der getrennte Abfall bis zum nächsten Hafen gelagert werden kann. Und zwei Verbrennungsanlagen. Mit der Energie können wir das Wasser erhitzen. Man merktalso, dass dieses amerikanische Schiff in Deutschland konstruiert wurde. Hey, sogar das Kondenswasser aus der Klimaanlage nutzen wir, ich glaube, in der Waschküche. Nichts geht verloren. Isn’t that fantastic?»
«Sehr lobenswert!»
«Und natürlich ganz viele Restaurants. Vierzehn Stück, alle werden über Aufzüge und Gangways von einer zentralen Küche versorgt, in der die Spitzenköche Amerikas und Europas hantieren. Ich selbst lege viel Wert auf gutes Essen und auf Abwechslung. Vielleicht kann man das sehen?» Er lachte hustend und strich sich wohlgefällig über den runden Bauch. «Deshalb servieren wir Fastfood genauso wie Hummer. Ich könnte so eine Kreuzfahrt ja nur mit essen verbringen.»
«Seeluft macht ja auch hungrig», sagte Carolin, nur um irgendetwas zu sagen. «Und müde.»
«O ja, Honey, da sagst du was. Deswegen haben wir auch ganz gemütliche Betten. Wie haben Sie heute Nacht geschlafen?»
«Danke, gut!», log sie.
«Eintausendeinhundertfünf Kabinen, mehr als die Hälfte mit eigenem Balkon. Und die Innenausstattung ist ein Traum. Ich liebe das Apricot, you know, wir haben mehrere Kabinen von Designern einrichten lassen, in verschiedenen Farben, alles sehr chic, aber das apricotfarbene ist sensationell.»
«Da bin ich mir sicher.» Sie sahen beide aus dem großflächigen Fenster der Kommandobrücke. Das Schiff schob sich noch immer parallel zur Kaimauer in Richtung Hafenbecken. Von dort würde es sich in die richtige Position drehen und sich durch die geöffnete Dockschleuse in die Leda bewegen. Carolin strich mehr unbewusst mit den Fingern über die glatte Fläche des Seekartentisches. «Erst gesternhabe ich mir Gedanken gemacht, womit man diesen Tag hier vergleichen kann. Ich denke, es ist für alle Beteiligten wie eine Geburt.»
Sinclair Bess setzte sich aufrecht hin. Seine Augen glänzten begeistert. «That’s it!»
Carolin wandte sich an Ebba John. «Kann ich ein wenig an das Heck?»
«Ja, natürlich. Wenn Leif kommt, sage ich ihm Bescheid.»
Carolin zwinkerte Sinclair Bess zu. «Entschuldigen Sie mich, Mr. Sinclair, ich will ein wenig meiner Arbeit nachgehen.»
«Ich werde mitkommen!»
Carolin wusste, sie hätte sich den Satz mit der Geburt verkneifen sollen. Nun schien der Mann einen Narren an ihr gefressen zu haben. Er schien von seiner Idee, gemeinsam mit Carolin über die Schiffsplanken zu flanieren, begeistert zu sein und erhob sich aus dem Ledersessel.
Carolin hoffte, sich verhört zu haben, doch Ebba John reichte dem Reeder bereits einen hellen Wollmantel. Wie sollte sie mit einem übergewichtigen und redseligen Typen im Schlepptau vernünftig arbeiten? Warum stellte sich alle Welt das Fotografieren so einfach vor: bloß das Motiv finden, bloß den Auslöser drücken und fertig? Als Ebba John ihnen beim Hinausgehen zurief, sie würde gleich hinterherkommen, sobald Leif da wäre, war für Carolin klar, dass dieser Tag fürs Erste in die Hose gehen würde.
«Was werden Sie aufnehmen?», fragte Sinclair Bess atemlos. Er hetzte ihr hinterher. Carolin dachte nicht daran, sich dem lahmen Schritt des Millionärs anzupassen. Er war es schließlich gewesen, der mitwollte.
«Das weiß ich noch nicht!»
«Ich werde Ihnen das Atrium
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