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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Bild von dem kranken Mädchen gemacht hatte. Natürlich war ihr zu dieser Zeit und auch gestern bei der Autofahrt die scheinbar endlose Ebene aus sattgrünem Gras aufgefallen, doch so platt wie hier aus rund vierzig Meter Höhe hatte das Land nie gewirkt. Vielleicht war die Erde doch eine Scheibe?
    Diesen Spruch musste sie sich merken. Sie musste ihn für Leif aufbewahren. Die Erde ist eine Scheibe. Anscheinend war sie doch ein wenig begabt. Sie nahm die Nikon. Ganz hinten am Flusslauf standen links und rechts zwei Windmühlen, die sich nicht mehr drehten. Am Ufer lag ein gutes Dutzend Holzschiffe hintereinander, die Menschen an Deck jubelten und winkten. Eine graue Straße verlief parallel zur Leda, kilometerlange Autorkorsos parkten am Rand, auf dem brachliegenden Feld dahinter hatten Hunderte Menschen ihre Zelte aufgeschlagen. Alle standen am Ufer. Alle rissen ihre Arme in die Höhe. Einige hatten Fackeln in den Händen, es war noch immer ein wenig dämmrig, und im Schein der Flammen, die den Flussweg säumten, wirkte die Leda wie eine Landebahn. Es war atemberaubend.
    Alles, was ihr einfiel, waren pathetische Worte. Zu dick aufgetragen, würde Leif sicher kritisieren. Aber es war ja auch nicht ihr Job, sondern seiner! Die Kamera klickte unentwegt, und die Bilder mussten gut werden, ziemlich gut, das spürte sie. Trotzdem wollte sie auch ihre Gedanken festhalten. Ihr fiel das Diktiergerät ein. Leifs Liebling. Es lag noch immer sicher in ihrer Hosentasche. Und sie kannte sich ein wenig damit aus, ein anderer Kollege hatte ihr mal die einzelnen Tasten erklärt.
    Sie zog es hervor. Oben war der Hauptschalter, sie klickte auf
On
. Eine grüne Lampe leuchtete. Auf dem mittlerenOval stand
Record
. Sie drückte vorsichtig. «Hallo? Test, Test!» Dann die Taste mit dem Quadrat, dann Rücklauf, zwei Pfeile nach links, auf dem Display erschienen verschiedene Tracks, sieben Aufnahmen waren bislang gespeichert, sie wählte die letzte, drückte dann auf
Play
: «Hallo? Test, Test!»
    Na also, es war doch gar nicht so schwer! Und sie war gar nicht so ungeschickt. Sie führte das Gerät an den Mund. Was wollte sie jetzt sagen? Die Erde ist eine Scheibe. War das gut? Das Schiff drehte sich noch immer, es lag nicht mehr parallel zum Flussufer. Wie ein Karussell fuhr die
Poseidonna
weiter im Kreis und drängte der Leda zu. Ein seltsames Manöver, dachte Carolin.
    Record
: «Wenn man hier oben steht und in Fahrtrichtung schaut, hat man das Gefühl   …»
    Das Schiff stoppte so abrupt, dass Carolin mit voller Wucht gegen die Heckreling geschleudert wurde. Was war passiert? Alles war plötzlich lautlos, still, man konnte keine Motoren mehr hören, keinen Wind, kein Wasser. Die
Poseidonna
schien gegen ein Teil des Werfttores gefahren zu sein. Das Drehen im Hafenbecken, es war Carolin schon seltsam vorgekommen. Und nun hatte das Schiff mit der einen Seite – ob es nun Back- oder Steuerbord war, wen interessierte es, jedenfalls schien es nicht die Kurve gekriegt zu haben – das Werfttor und einen Teil des äußeren Flussdeiches gerammt. Jetzt hörte man die Motoren wieder, sie machten ein leierndes Geräusch. Nichts bewegte sich mehr.
    Carolin hatte instinktiv schützend die Hand über die Kamera gehalten, doch das Diktiergerät war ihr entglitten und durch die Streben der Reling gefallen. Sie atmete aus, und erst da merkte sie, dass sie die letzten fünf oder zehn Sekunden die Luft angehalten hatte. Sie schaute ein Stück weit über die Reling, spähte nach unten, da war nurWasser. Man sah noch ein paar Wirbel im grauen Fluss, die eine Bewegung verrieten, die noch vor wenigen Augenblicken stattgefunden hatte. Ein Diktiergerät sah man nicht. Es musste in den Wellen verschwunden sein. Leif würde sie killen, so viel stand fest. Warum hast du mein Arbeitsgerät in die Hände genommen, würde er zornig fragen, ich lasse doch auch die Finger von deiner Kamera. Niemand sollte dem anderen ins Handwerk pfuschen, dann fallen auch keine teuren Mini-Disc-Recorder in den Flussschlamm, ganz zu schweigen von den Interviews, die mit ihm in der Leda versunken sind. Das würde er ihr vorwerfen. Und er würde Recht damit haben.
    Aber was, um Himmels willen, war überhaupt passiert?
    Carolin schaute nach oben. Die aufgehende Sonne wurde von den schrägen Fenstern der Kapitänsbrücke reflektiert, sie konnte nichts und niemanden erkennen. Auch dort hinten, wo Ebba John und Sinclair Bess zurückgeblieben waren, war nun kein Mensch auszumachen. Am Ufer

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