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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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sich dort nach dem Grund für die heftige Kollision zu erkundigen.
    Carolin ging die Treppe hinauf. Und wenn sie ihren Kollegen nicht dort oben antraf? Dann musste ihm eindeutig etwas wirklich Gravierendes dazwischengekommen sein. Sollte Leif Minnesang nicht gleich arbeitswütig neben dem Kapitän stehen, dann würde sie sich ernsthaft Sorgen machen.
    Sie sollte Ebba von diesen Gedanken berichten, schließlich war sie ihr extra zur Seite gestellt worden, falls Fragen auftauchten oder Hilfe benötigt wurde. Dann sollte sie auch helfen und nicht nur Wachhund spielen. Sobald der wahrscheinlich nur leicht verletzte Sinclair Bess wieder auf den Beinen war, würde Carolin sich an Ebba John wenden. Bis dahin würde sie es auch allein schaffen. Mit der Nikon.
    Und dem Diktiergerät. Mist, das Diktiergerät! Es war über Bord gegangen. Sie hätte es besser festhalten müssen. Wer weiß, was Leif am gestrigen Tag alles zu Protokoll gegeben hatte? Er würde es ihr selbst erzählen müssen. Das Gerät war jedenfalls verloren.
    Sie hörte Schritte, die ihr von oben entgegenkamen. Wolfgang Grees, der Garantiemechaniker, tauchte auf der Treppe auf. Er schwitzte.
    «Sagen Sie, ist mein Kollege inzwischen oben im Ruderhaus?», fragte Carolin, als er ihrem Blick begegnete.
    «Ich habe ihn heute noch nicht gesehen», entgegnete Grees und eilte weiter.
    «Was ist eigentlich passiert?»
    «Haben wir gleich, keine Panik», antwortete er hastig, ohne stehen zu bleiben. «Es wäre uns sehr recht, wenn Sie im Moment keine Fotos machen würden!»
    Das konnte sich Carolin denken. Es war ein Fauxpas erster Güte, dass die
Poseidonna
, geschaffen, die Weltmeere zu bezwingen, noch nicht einmal die erste Kurve in Richtung Fluss unbeschadet überstanden hatte. Und natürlich wäre Carolin nicht die Fotografin, die sie war, wenn sie ausgerechnet jetzt die Kamera ruhen ließe.
    Sie lehnte sich über das Treppengeländer. Man konnte die Tiefe der unteren Stockwerke nicht ganz ausmachen, der Boden war ein dunkles Loch. Doch man sah Grees’ linke Hand am Geländer, man konnte seinen Armverband ausmachen, erkannte, dass er sich hastig seinen Arbeitskittel überwarf, ein Funkgerät im Anschlag. «Wolfgang hier, wir sehen uns auf drei. Bitte sofort, Maschinenschaden! Und schickt drei Leute außen lang. Ich glaube nicht, dass wir gravierende Macken am Rumpf haben, aber sie sollen jeden Millimeter des Schiffsrumpfes unter die Lupe nehmen!»
    Klick. Grees steckte wahrscheinlich gerade in der Stresssituation seines Lebens. Und er hatte Carolin ein wunderbares Foto beschert.
    Dieser Mann kannte sich auf dem gesamten Schiff aus wie kein Zweiter. Die
Poseidonna
war riesig, hatte so viele Winkel, so viele Räume. Carolin würde sich auf keinen Fall davon abbringen lassen, ebenfalls bis in die hintersten Ecken vorzudringen. Er hatte gesagt, dass Leif nicht oben war. Also würde sie nun auf die Suche gehen. Sie wusste noch nicht, wo sie beginnen sollte. Hätte sie sich doch im Vorfeld besser informiert, hätte sie doch ein wenig von Leifs akribischem Vorbereitungseifer. Sie musste sich irgendwie orientieren.
    Links an der Wand hing eine Schiffsskizze, ein Notfallplan,der die Seitenansicht der
Poseidonna
zeigte. Sie war, trotz ihrer Größe, ein schlankes Schiff. Mit einer Bugspitze, die wie eine gerade Nase aussah. Die Ingenieure hatten auf jegliche Ecken verzichtet, sodass sich die dreizehn Decks in harmonischen Rundungen aufbauten. Das Heck fiel nicht im rechten Winkel ab, sondern war stufenförmig ausgestellt. Die unteren Decks standen immer ein klein wenig weiter vor. Dort hinten, so konnte es Carolin dem Plan entnehmen, waren über fünf Etagen private Sonnendecks für die Luxuskabinen angelegt.
    Als Carolin sich vorhin auf der Suche nach dem Diktiergerät für einen kurzen Moment an die Reling gelehnt und nach unten geschaut hatte, war ihr Blick nicht weit genug gewandert, um die unteren Etagen zu sehen. Vielleicht hatte sie Glück. Vielleicht war der M D-Player nicht in den Fluss gefallen, sondern auf einem der Privatdecks gelandet. Vielleicht hatte sie noch mehr Glück, und das Gerät war nicht in tausend Teile zersplittert. Und vielleicht, aber Carolin traute sich gar nicht zu hoffen, vielleicht waren auch noch die Aufnahmen zu hören, die Leif gestern protokolliert hatte. Es könnte sein, die Chance war minimal, aber es könnte sein, dass sie auf diesem Wege etwas darüber erfuhr, was er ihr gestern Abend und heute Morgen hatte mitteilen wollen. Es wäre

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