Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
Vom Netzwerk:
hauchdünnen Papier war für ihn schon immer eine meditative Tätigkeit gewesen. Er konnte es im Schlaf, trotzdem blickte er auf seine beschäftigten Finger, als müsse er mit voller Konzentration dabei sein, wenn er etwas zum Rauchen haben wollte. So brauchte er Ebba nicht anzuschauen.
    Sie ließ aber nicht locker. Sie musste gemerkt haben, dass seine Aktivitäten an Bord sich nicht auf die offensichtlichen Sabotageakte beschränkten. «Kennst du den Informanten? Hier muss noch ein weiterer Unbekannter unterwegs sein, der Leif von dem toten Mädchen erzählt hat. Bist du ihm begegnet? Weißt du von ihm, dass Leif verschwunden ist?»
    Sollte er auf die Version mit den Sicherheitsmännern bestehen? Oder gab es einen anderen Weg? Er zündete dieZigarette an. Sie war zu locker gedreht, er musste den bröseligen Tabak von den Lippen zupfen, nachdem er den ersten Zug genommen hatte. «Ich habe Leif Minnesang gesehen. Er war fix und fertig.»
    Sie starrte ihn an. «Wo hast du ihn gesehen?»
    «An Deck. Kurz bevor wir gegen das Werfttor geknallt sind.»
    «Du hast ihn gesehen?»
    «Er war blass wie der Tod, konnte kaum gehen. Er kroch die Zwischentreppe rauf, Stufe für Stufe. Ich konnte von meinem Versteck aus den Aufgang einsehen. An der offenen Tür blieb er kurz stehen und atmete durch. Ich dachte, er kippt noch um. Doch er hat sich weitergekämpft.»
    «Wo warst du in diesem Moment?»
    «Ich hatte mich in einem Rettungsboot versteckt. Um ein Haar wäre ich herausgekrochen und hätte ihm geholfen.»
    «Du hast es nicht getan.»
    «Nein, ich war zu feige. Was ist mit ihm? Ist er etwa auch tot?»
    «Du solltest nicht alles wissen.»
    «Ich habe aber eine Idee, wer der Informant gewesen sein könnte.» Pieters Hirn arbeitete noch immer in Höchstform. Während er sich hier mit Ebba unterhielt, durchsuchte sein Unterbewusstsein alle Informationen, die er während dieser kurzen Fahrt gesammelt hatte. Ihm kam eine fast vergessene Sache in den Sinn. Vielleicht war hier ein Schlüssel. Vielleicht konnte er Ebba hier einen Gefallen tun und dann eine Gegenleistung erwarten. «Du hast recht. Hier ist tatsächlich ein weiterer blinder Passagier. Ein Schweißer.»
    «Woher weißt du das? Bist du ihm begegnet?»
    Er konnte unmöglich sagen, dass Carolin ihm von einer merkwürdigen Begegnung auf der Treppe erzählt hatte. Doch wenn er eins und eins zusammenzählte, so war klar:Der Mann, der heute Morgen gegen die Außenwand des Rettungsbootes geklopft und ihn ermahnt hatte, musste derselbe sein, vor dem sich Carolin gestern Abend gefürchtet hatte. Wäre einem Besatzungsmitglied der Verdacht gekommen, dass sich jemand unerlaubter Weise im Rettungsboot aufhielt, so wäre es nicht bei einem Klopfen und leisen Rufen geblieben. «Er stand gestern auf Deck 7 im Schatten der Treppe. Ein großer Typ.»
    «Ein Schweißer?»
    «Ja, er hatte die Kluft noch an. Ich kenne ihn nicht. Vielleicht war er es auch, der im Atrium den Mann in die Tiefe gestoßen hat.»
    «Davon weißt du also auch schon? Aber das war kein Mord. Man sagte mir, Wolfgang Grees sei aus Versehen über das Geländer gestürzt. Oder Selbstmord. Seine Frau hatte sich von ihm getrennt.» Pieter konnte seiner Tante ansehen, dass sie dieser Aussage selbst nicht ganz traute.
    «Was ist mit Leif Minnesang?»
    «Er ist auf Deck 5.»
    «Krankenstation?»
    «Und Lagerräume.»
    «Dann ist er tot?» Sie reagierte nicht. Eiskalt saß sie ihm gegenüber, nahm ihm die drei viertel aufgerauchte Zigarette aus der Hand und zog an seiner Kippe. Er kannte sie schon seit Ewigkeiten. Doch in diesem Moment war sie ihm fremd.
    Wie weit ging sie? So weit, dass sie auch Carolin Schaden zufügen würde? Nur, weil sie eventuell von der Geschichte mit dem polnischen Mädchen erfahren hatte?
    Er musste sie warnen.

Carolin
    So weit nach unten in den Rumpf der
Poseidonna
war Carolin noch nie vorgedrungen. Ab Deck 3 hatten sich die üblichen Anzeichen bemerkbar gemacht, die immer bei ihr auftauchten, wenn sie sich freiwillig oder unfreiwillig einer unbekannten und bedrohlichen Situation aussetzte: schwitzende Handflächen, Herzklopfen, trockener Mund. Nun war sie ein weiteres Stockwerk tiefer gelangt. Inzwischen bewegte sie sich durch das Labyrinth der Lüftungswege beinahe so sicher wie durch die grauen Flure, auch wenn das nicht viel hieß. Als schließlich am Rohr «D2H» – Deck- 2-Heck – zu lesen war, war ihr mehr als unwohl. Nun bewegte sie sich schon unterhalb der Wasseroberfläche. Das Dröhnen

Weitere Kostenlose Bücher