Halbmast
von gut vierzig Zentimeter Länge, orangefarben, aus festem Kunststoff, an deren einem Ende sich ein blauer Deckel mit Ring befand. Die Anweisung war idiotensicher bebildert, trotzdem kostete es Carolin Überwindung, mit dem Zeigefinger in die Öse zu greifen und die Haube schnell in einer einzigen Bewegung abzuziehen. Es dauerte eine Sekunde, länger nicht, gleißendes Pink beleuchtete den Maschinenraum, die Flamme zischte gleichmäßig und strahlte Hitze ab.
Carolin tauchte erst die Fackel und dann den Kopf nach unten, der Brennstoff roch beißend, sie hielt die Luft an, kniff die Augen zu, um sich vor dem blendenden Licht zu schützen. Als sie wieder wagte, die Lider zu öffnen, konnte sie dennoch nichts sehen und nichts entdecken. Sie erkannte lediglich, dass der Raum riesig war. Eine schmale Leiter führte nach unten und verschwand zwei Meter tiefer im grauen Wasser. Obwohl sie die Flamme, so weit es ging, von sich hielt, gelang es ihr nicht, den ganzen Raum zu überblicken. Sie musste ein paar Stufen hinabklettern, bevor siedie ganze Länge abchecken könnte. Carolin erinnerte sich an die Zeichnung. Die Ballasttanks hatten sich als schmale, lange Räume dargestellt, siebzig bis achtzig Meter vielleicht, gigantische Ausmaße. Die Luke führte so ziemlich in der Mitte der Räume hinab, also müsste sie zu beiden Seiten ungefähr vierzig Meter weit schauen. Die Flamme erlosch. Sie griff nach den beiden anderen Fackeln und schob sie sich zwischen Hosenbund und Rücken.
Ob hier unten wirklich jemand war? Es konnte auch sein, dass der Schweißer sie in die Irre führen wollte. Vielleicht hatte er direkt etwas mit Leifs Verschwinden zu tun und wollte nun auch ihr schaden. Es wäre besser, nicht hinabzusteigen, es wäre wesentlich vernünftiger und schlauer. Aber es wäre auch verdammt feige.
Carolins Füße fanden die Sprossen der Leiter. Noch brannte die Fackel. Sechzig Sekunden Brenndauer hatte die Beschriftung versprochen. Sie packte den Mini-Disc-Recorder aus der Hosentasche und klemmte ihn hinter zwei Metallrohre neben der Öffnung. Er sollte beim Klettern nicht versehentlich ins Wasser fallen. Nichts durfte sie in irgendeiner Weise behindern, denn sie musste schnell sein. Die Minute Brenndauer musste sie nutzen, hell genug war das Licht ja, wenn sie nur etwas mehr als einen Meter nach unten stieg, müsste sie eigentlich die gesamte Länge überschauen können. Und dann wäre der Auftrag erledigt, dann könnte sie ruhigen Gewissens nach oben steigen, die Luke schließen und mit der Sicherheit, das Möglichste getan zu haben, ihre Suche nach Leif fortsetzen. Sie stieg hinab. Das Wasser unter ihr bewegte sich in Strudeln und an einigen Stellen wallte es auf, noch immer strömte es durch die defekte Stelle herein. Sie leuchtete die unruhige Oberfläche ab. Da war nichts, nur das Grau des Emswassers, ansonsten … oder, was war dahinten? Ein weißes Tuch, etwas in der Art,schwamm am Rand, fast ganz hinten, kaum auszumachen. «Hallo? Ist da jemand?»
Carolin schärfte die Augen. In diesem Moment erlosch die Fackel. Ohne vorher zu zucken ging das Licht aus, als stellte sich der Brennstoff per Schalter ab. Es war stockfinster. Carolin ließ die leer gebrannte Kunststoffhülse einfach fallen, hängte sich mit einem Arm an die Sprosse und versuchte, die andere Fackel anzureißen. Was immer dahinten auf den kurzen Wellen geschaukelt hatte, sie musste es näher betrachten. Das Licht aus der oberen Luke reichte dazu nicht aus, das Objekt schwamm sicher fünfundzwanzig Meter weiter hinten. War es ein Mensch?
Ein Geräusch direkt über ihr hinderte sie daran, den Deckel aus dem Leuchtkörper zu ziehen. «Halt, was machen Sie da?», rief sie hinauf. Die Luke wurde verschlossen. «Ich bin hier unten, halt, nicht schließen! Ich bin doch hier!» Sie hatte im allerletzten Lichtschein nur eine Hand sehen können, eine kräftige Männerhand, die den Deckel hielt, bevor er auf der Öffnung aufsetzte. Dieser Mensch dort oben hatte sie doch hören müssen! «Hilfe, machen Sie wieder auf! He, Sie können mich hier nicht einfach einsperren! Hallo? Hilfe!»
Obwohl es stockfinster war, schloss Carolin die Augen. Sie musste sich konzentrieren, sie musste ganz genau überlegen, wo sie sich befand und wohin sie wollte. Ihre Beine standen stabil auf der Leiter, sie wusste, dass sie nicht tiefer klettern konnte, ohne im Wasser zu stehen. Ihr linker Arm umklammerte die Sprosse, ihre rechte Hand griff nach der Leuchtfackel. Sie wollte
Weitere Kostenlose Bücher