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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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des Motors wurde lauter. Sie verließ den Klimaraum.
    Vorhin auf der Kapitänsbrücke, als sie alle am Kartentisch gestanden hatten, war es Carolin gelungen, sich die ausgebreitete Deckskizze genau einzuprägen. Obwohl sie da noch nicht gewusst hatte, dass sie nur wenige Momente später durch diese Gänge und Maschinenräume gehen würde. Instinktiv hatte sie alles memoriert, vielleicht, weil sie sich ohne Kamera hilflos fühlte und nun versuchte, wieder Orientierung zu erlangen.
    Sie war nur zur Täuschung ein Deck höher gestiegen, weil der merkwürdige Schweißer denken sollte, dass sie auf der Brücke Meldung machte. Doch in Wahrheit hatte sie sich vor Augen geführt, was sie vorhin bei der Schadensmeldung über diese Ballasttanks erfahren hatte. Und sie sah, tatsächlich fast wie bei einer Fotografie, die Decks 1 und 2 vor sich, die eingezeichneten Einstiegsluken der Tanks, im hinteren Drittel, unmittelbar bei den Maschinenräumen, die für den Heckantrieb zuständig waren.
    Sie hatte sich schnell dagegen entschieden, der Mannschaft dort oben von der Sache zu berichten. Egal, ob der Arzt tatsächlich dort unten im einströmenden Flusswasser um sein Leben bangte oder ob sich dieser Fremde nur eine hanebüchene Geschichte ausgedacht hatte, es war besser, selbst dort unten nachzuschauen. Ihr war es gelungen, die Aufmerksamkeit von sich abzulenken, und dabei sollte es besser bleiben. Ein erneuter Besuch in der Männerrunde, eine aufregende Nachricht über den Verbleib von Perl, dies alles würde sie wieder in den Mittelpunkt stellen. Wenn sie auf eigene Faust nachschauen und tatsächlich etwas entdecken sollte, könnte sie immer behaupten, aus rein journalistischer Neugierde an den Ort des Unfallschadens geschlichen zu sein.
    Noch immer verstand sie nicht ganz, aus welchem Grund der Schweißer nicht selbst nach unten kletterte, wenn ihm die Situation von Herrn Perl so lebensbedrohlich erschien. Der Fremde musste wirklich eine Heidenangst davor haben, entdeckt zu werden. Er hatte gesagt, dass man ihm leicht ein Mordmotiv im Fall Wolfgang Grees unterjubeln würde. Was hatten diese beiden Männer miteinander zu tun gehabt? Ging es um eine private Sache? Eine Frauengeschichte womöglich? Aber der Schweißer fürchtete sich vor Schmidt-Katter und seinen Leuten, und es wäre schon sonderbar, wenn die Chefetage der Werft ihre Nase in derlei Angelegenheiten stecken würde. Es musste etwas anderes sein. Vielleicht konnte dieser Perl, sollte er tatsächlich dort unten sein, etwas zur Aufklärung beitragen.
    Die Luke war Gott sei Dank leicht zu finden. Man konnte ein leises Plätschern von einlaufendem Wasser hören. Wäre dort unten ein Mensch in Lebensgefahr, so hätte man mit Sicherheit auch dessen Schreie vernommen. Ein Schraubrad von sicher dreißig Zentimeter Durchmesser verschlossden Eingang. Zum Glück ließ sich das Ding wie geschmiert bewegen, fast von allein drehte sich die Schraube auf, und sie konnte den Einstieg nach oben hin öffnen.
    Drinnen war es dunkel. Zwar hatten sich Carolins Augen im Gewirr der Lüftungsschächte bereits an die minimale Anwesenheit von Licht gewöhnt. Doch unter dem bleischweren Deckel war es schwarz, als schaue man direkt ins Nichts.
    «Hallo?» Das Rauschen war laut, trotzdem hallte Carolins Rufen im Ballasttank wider. «Doktor Perl? Sind Sie dort unten?» Da war nichts. Carolin beugte sich ganz herunter, um nichts zu überhören, sie tauchte den Kopf in das dunkle Loch, doch da schien nur Wasser und das Echo von Wasser zu sein.
    Vielleicht war dieser Mensch auch nicht in der Lage zu antworten, dachte Carolin. Sie hatte sich bis hierhin gequält, dann musste sie diese Sache auch gründlich untersuchen. Carolin bemerkte, dass sie, bis auf nervöses Zittern und ein unsicheres Gefühl in den Knien, einigermaßen bei Kräften zu sein schien. Sie setzte sich wieder auf und blickte sich um. Sie brauchte eine Lichtquelle, doch es war mehr als unwahrscheinlich, dass hier unten jemand irgendeine Art von Beleuchtung herumliegen gelassen hatte. Pieter hatte eine Taschenlampe bei sich gehabt, doch die Zeit fehlte, sie in der Kabine zu suchen, falls sie dort überhaupt noch lag.
    Wieder vertiefte sich Carolin in das eingeprägte Bild, den Grundriss der Schiffdecks, welcher so zuverlässig vor ihrem inneren Auge lag. Sie befand sich auf Deck 2.   Hier waren die Maschinenräume untergebracht, die niemals ein Passagier der
Poseidonna
zu Gesicht bekäme. Sie befand sich in den Eingeweiden des

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