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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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Job los war.
    Natürlich hatte Pieter ebenfalls überlegt, im Umkehrschluss seine Tante außer Gefecht zu setzen. Er hätte sie im Casino einsperren können, in einem dieser großen Wandschränke beispielsweise. Doch er hatte sie gehen lassen. Man würde ihr Verschwinden mit Sicherheit schnell bemerken, und dann? Immerhin war die Sicherheitsmannschaft seines Wissens nach mit einem Dutzend Haudegen besetzt, und er stand ganz allein da. Es war zu gefährlich, sich mit Ebba anzulegen. Ein stillschweigendes Übereinkommen war für beide die sicherste Lösung.
    Sie hatte ihm das Versprechen abgerungen, dass er sich von nun an zurückhielt und die Fahrt nicht weiter behinderte. Er hatte diese Zusage ohne Zögern geben können. Es stand nichts dergleichen mehr auf dem Plan.
    Das einzige Ziel, welches er nun noch verfolgte, war die Zusammenarbeit mit Carolin. Und die war zu diesem Zeitpunkt nicht möglich. Zum einen, weil sie wahrscheinlichschon längst das Vertrauen in ihn verloren hatte. Denn obwohl es heute Vormittag auf dem Deck so gut begonnen hatte, war inzwischen zu viel vorgefallen, als dass sie an der Stelle weitermachen könnten, an der sie vorhin in der Kabine gestanden hatten.
    Zum anderen: Wie sollte er Carolin von all den wichtigen Dingen erzählen, die sie dann im
Objektiv
an die breite Öffentlichkeit bringen wollte, wenn sie wie vom Erdboden verschluckt war? Er hatte sämtliche Saunakabinen und den ganzen Badebereich durchsucht, hatte jeden Winkel der Restaurants in Augenschein genommen. Selbst in die riesige, blank gewienerte Küche hatte Pieter geschaut. Carolin war nicht zu finden. Und auch kein Zeichen, dass sie dort gewesen war. Aber warum hätte sie auch einen Hinweis hinterlassen sollen?
    Natürlich konnte ihr auch etwas passiert sein. Ebba hatte Carolins Namen in dem aufschlussreichen Gespräch zwar nur beiläufig erwähnt, aber wenn seine Tante bereit gewesen war, diesen Leif Minnesang zu betäuben, um irgendeine Sache zu vertuschen, dann würde sie auch mit Carolin kurzen Prozess machen, wenn diese auf einmal zu neugierig werden würde. Er konnte nur hoffen, dass Carolin vorsichtig war und nicht in irgendwelche Fallen tappte.
    Der beste Anhaltspunkt auf der Suche nach ihr war, zuerst Leif Minnesang zu finden. Er ahnte, dass Carolin, wenn es ihr möglich war, inzwischen fieberhaft nach ihrem Kollegen fahnden würde. Also könnte er ihr am besten begegnen, wenn er dasselbe Ziel verfolgte.
    Auf Deck 5, hatte Ebba gesagt, in den Lagerräumen. Dort könnte man Leif Minnesang finden. Mehr hatte er nicht aus ihr herausholen können. Ebba betonte, sie hätte den Mann in Sicherheit gebracht. Ob sich diese Sicherheit auf Leif Minnesang und dessen Überdosis Schlafmittel bezog,oder ob Ebba damit gemeint hatte, dass sie ihre eigene Haut hatte retten wollen, war unausgesprochen geblieben. Er wusste nicht, was ihn erwartete, in welchem Zustand er Carolins Kollegen antreffen könnte. Nach dem, was seine Tante ihm über das Valium erzählt hatte, und auch nach dem, wie der Journalist kurz vor dem Zusammenbruch auf der Zwischentreppe ausgesehen hatte, erwartete er das Schlimmste.
    Als er die Spülküche verließ, breitete sich vor ihm einer dieser ellenlangen Gänge aus. Er stieß rechts und links die Türen auf und schaute hinein. Alles war leer. Es gab keine Spuren, es sah aus, als sei hier noch nie ein Mensch entlanggelaufen. Die Tür schräg gegenüber dem Klimaraum war abgeschlossen. Pieter rüttelte an der Klinke, obwohl er wusste, dass sich das Sicherheitsschloss nicht auf wundersame Weise öffnen würde. Wenn dies weit und breit die einzige verschlossene Tür war, so gab es sicherlich einen Grund dafür. Dies bedeutete für ihn, dass er dort hinein musste. Er versuchte erst gar nicht, sich dagegen zu werfen. Die Türen an Bord waren alle stabil und schwer, es würde keinen Zweck haben. Sicher gab es eine andere Möglichkeit.
    Nebenan roch es nach Desinfektionsmitteln. Pieter erinnerte sich: Hier lag die Krankenstation. Er trat in einen schmalen Korridor, an dessen Ende ein geöffneter Medikamentenschrank stand.
    «Ist da jemand?», hörte er eine dumpfe Stimme mit amerikanischem Akzent. Pieter versteckte sich neben dem Arzneilager. Schlurfende Schritte näherten sich aus dem Zimmer, das gegenüber seinem Schlupfwinkel lag. «Anybody in there?»
    Es war Sinclair Bess. Das Hemd hing ihm aus der zerknitterten Hose. Seine schwarzen Haare waren an einer Seite platt an den Kopf gedrückt. Er hatte geschlafen.

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