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Halbmast

Halbmast

Titel: Halbmast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lüpkes
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nebeneinander gesessen.
    «Warum hast du so lange gewartet und keinen anderen Arzt geholt?»
    «Sie haben mich gesagt: Ist nur Magenentzündung, nicht so schlimm. Kommt gleich Doktor von Werft.»
    «Aber er ist nicht gekommen.»
    «Nein, aber am nächsten Morgen Svetlana geschlafen. Alles war gut und ich dachte, es war wirklich Magenentzündung. Und dann Svetlana aufgewacht, ganz kurz, so eine Angst in Augen von meine Tochter, ich wusste, ich habe Fehler gemacht. Aber Telefonnummer war besetzt. Immer, die ganze Zeit. Ich wollte anrufen andere Arzt, aber da war Svetlana tot.» Der arme Mann weinte.
    «Wir sollten den Fall melden. Eine solche Schweinerei darf nicht ohne Nachspiel bleiben. Ich werde die Presse alarmieren. Und die Polizei», hatte Marten gesagt.
    Doch Robert Adamek hatte den Kopf geschüttelt.
    «Aber dann wird es uns besser gehen.»
    «Es wird uns schlechter gehen.»
    «Das ist Unsinn!»
    «Sie haben mich gedroht: Wenn du sagst, was ist passiert, müssen ihr alle gehen. Für immer keine Arbeit in Deutschland. Für alle hier in Haus. Wir sind sechsundfünfzig Leute, wie eine Familie. Wenn wir müssen alle weg, dann ist Katastrophe. Viele von meine Freunde geht es schlecht in Polen, sie haben viele Kinder. Wenn sie keine Arbeit mehr in Deutschland nie wieder, dann alles aus.»
    «Das können sie nicht machen!»
    «Aber sie haben gesagt, dass wir sind selber verantwortlich für schwarze Arbeit ohne Versicherung. Niemand hat uns gezwungen, also niemand ist schuld. Und Svetlana ist tot, es ist kein Unterschied, ob ich gehe zu Polizei oder nicht.»
    Sie hatten noch ein Glas Apfelsaft getrunken, Marten dazu einen Wodka, Adamek nicht. Er hatte gleich arbeiten gehen müssen. Sie waren gemeinsam aufgebrochen. Adamek mit der Putzkolonne Richtung Tor E, Marten mit dem Fahrrad in einen der schicken Vororte Leers. Er hatte Familie Perl beim Abendessen zugesehen.
    Natürlich hätte Marten trotzdem die Öffentlichkeit einschalten können. Es wäre für ihn dann eine Art Schlussstrich gewesen, wenn die Presse und die Justiz sich über Schmidt-Katter und seine Truppe hergemacht hätten. Es wäre ihm sicher gut gegangen. Doch er wollte nicht, dass Robert Adamek und seine Freunde darunter zu leiden hätten. Es wäre nicht in Svetlanas Sinn gewesen, und auch wenn sie tot war, fühlte er sich dem irgendwie verpflichtet.
    Also musste er seine rasende Wut anders loswerden.
    Für ihn hatte sich der Arzt als Schuldiger herausgestellt. Er war es, der sich gegen Svetlana entschieden hatte. Die anderen, Grees und Schmidt-Katter und Ebba John, nun, vielleicht hatten sie es nicht wirklich mitbekommen. Und wenn doch, so hatten sie zwar falsch gehandelt, doch wahrscheinlich nur, um ihren Job zu retten. Das konnte Marten irgendwie verstehen.
    Aber hatte dieser Arzt nicht einmal so etwas wie einen Eid geleistet, dass er Leben retten wollte? Es wäre seine verdammte Aufgabe gewesen, Svetlana zu helfen. Und trotzdem hatte er sich zugunsten der Werft entschieden. Und das war etwas anderes. Er trug die Verantwortung für das, was geschehen war.
    Wie konnte ein Mensch nur so kaltblütig sein und zwischen zwei Leben entscheiden? Wie konnte ein Mensch nur zulassen, dass ein junges, wunderbares Mädchen sterben musste, weil ein Mann sich mit besoffenem Kopf ein paar Armhaare angesengt hatte? Wie konnte ein Mensch nur somenschenverachtend sein und gleichzeitig so liebevoll und freundlich mit seiner Familie am Tisch sitzen?
     
    Marten wandte sich vom Swimmingpool ab und ging die Zwischentreppe hinunter. Es war ihm egal, ob er jetzt jemandem über den Weg lief. Er wollte sich nicht mehr verstecken. Im Grunde hatte er getan, was er hatte tun müssen. Er fühlte sich jetzt besser als noch vor wenigen Tagen.
    Doktor Perl war ein Schwein. Aber die ganze Sache war es nicht wert, Marten lebenslänglich ins Gefängnis zu bringen. Er wollte wirklich nicht schuld an dessen Tod sein. Auge um Auge und so ein Kram war einfach nicht Martens Ding.
    Sollte er sich also in der Fotografin getäuscht haben und sie hatte sich einen Dreck um den Gefangenen im Tank gekümmert, so müsste er Doktor Perl eben selbst retten. Und wenn er dabei entdeckt wurde, wenn er dabei aufflog, war das nicht egal? War es nicht ohne jeglichen Belang, wo er die nächsten Jahre verbrachte? Ob in seiner Zweizimmerwohnung, deren Miete er sich ohnehin bald nicht mehr leisten konnte, oder im Knast. Es war eins. Es war nur ein gewaltiger Unterschied, ob es dabei um Freiheitsberaubung ging

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