Halbmast
amüsierte und er die Geschichte, die im Betrieb wahrscheinlich schon jeder zu Genüge kannte, gern einmal selbst erzählen wollte. «Er hatte doch Geburtstag, der Grees, letzten Donnerstag. Schnapszahl, also fünfundfünfzig ist er geworden, und die haben schon ab nachmittags gefeiert. Weil er dann ja auch bald für ein Jahr als Garantiemechaniker unterwegs ist, war es wohl gleichzeitig so etwas wie eine Abschiedsparty für Grees. Im leeren Swimmingpool der
Poseidonna
. Poolparty haben die das genannt. Es gab Sekt und so einen Kram, in Massen, und wir haben keine zwanzig Meter entfernt malocht wie die Bekloppten.»
«Und wie hat sich der Grees verletzt?»
«Ach, die waren alle schon so breit, als wir um halb fünf Feierabend gemacht haben. Der Unfall ist dann später passiert. Wenn es ein Unfall war, weil, wenn die so viel saufen, dann sind die doch selbst dran schuld, finde ich. Dann ist das doch kein richtiger Unfall. Der Grees und die John habengetanzt, der Schmidt-Katter hatte auch einen leichten Glimmer, seine Frau hat ständig mit ihm gemeckert. Der Einzige von denen, der noch halbwegs beisammen zu sein schien, war Doktor Perl. Zum Glück, denn dann kam Grees wohl die Idee, ein kleines Feuerwerk zu seinen eigenen Ehren losgehen zu lassen, und die haben mit den Notfallsignalen gefackelt. Die sind an dem Tag nämlich tonnenweise angeliefert worden und standen an Deck. Grees soll sich aus allen Kartons welche gezogen haben. Dabei ist es dann passiert.»
«Am letzten Donnerstag? Bist du dir sicher?»
«Bombensicher. Die haben uns für den nächsten Tag zum Schleppen der Notsignale verdonnert. Aber ich hatte Schwein, musste zur Berufsschule, also kein Schleppen. Freitags habe ich immer Berufsschule.»
«Und war da sonst noch was an dem Donnerstag?»
«Da war sonst nichts. Ist ja auch schon ’n Knaller genug, meinst du nicht? Ein Knaller im wahrsten Sinne: Brennt sich der Grees mit benebeltem Kopf den halben Arm ab, der Idiot. Coole Sache!» Der Lehrling hatte noch ein wenig vor sich hin gegrinst, ganz angetan von der Anekdote, die für ihn nur ein wunderbarer Witz war, die Svetlana aber das Leben gekostet hatte. «Und wie geht’s dir, Marten? Alles klar, Mann?»
«Ja, alles klar, Junge. Jetzt ist alles klar!» Marten hatte sich ohne Abschiedsgruß umgedreht und war gegangen. Alles war klar.
Grees hatte mit den wichtigen Leuten der Schmidt-Katter-Werft an Bord der
Poseidonna
gefeiert. Es hatte Alkohol gegeben. So etwas war verboten. Strengstens verboten. Wer Alkohol im Baudock trank, konnte gar nicht so schnell nüchtern werden, wie er seine Papiere in die Hand gedrückt bekam. Sicherheitsbestimmungen waren in der Werft heiligund wichtig und unter allen Umständen einzuhalten. Nur die großen Tiere leisteten sich ab und zu eine kleine Ausnahme. Klar, Party im leeren Pool eines Luxusschiffes, das war eine Kulisse! Solange alles gut ging, war es auch kein Problem. Doch in diesem Fall war es anscheinend in die Hose gegangen. Da war Doktor Perls ganzer Einsatz gefordert, diesen Vorfall zu vertuschen, damit Grees auch ohne Krankenhausaufenthalt über die Runden kam. Sonst wäre die verbotene Party aufgeflogen, und die Berufsgenossenschaft hätte einen Zauber veranstaltet, dass Schmidt-Katter Hören und Sehen vergangen wäre. Und genau in diesem Moment musste im Personalbüro das Telefon geklingelt haben. Zum wiederholten Male. Genau in diesem Moment hatte Robert Adamek bemerkt, dass es wirklich schlecht um seine Tochter stand. Genau in diesem Moment hatte er all seine Hoffnungen auf Doktor Perl gesetzt. Und dieser war damit beschäftigt gewesen, den Arm eines besoffenen Widerlings zu behandeln. Damit die kleine, verbotene Poolparty nicht aufflog. Damit es keinen Ärger gab.
Als Marten sich endlich eine Erklärung zusammenbasteln konnte, warum Svetlana sterben musste, hatte er sich besser gefühlt.
An diesem Tag hatte er ein letztes Mal in der Mörkenstraße geklingelt, hatte sich über Umwege einen Zutritt zu Adameks Wohnung verschafft und dem verstörten Mann erzählt, was er herausgefunden hatte. Es war ihm ein Bedürfnis gewesen, Svetlanas Vater zu zeigen, dass er drangeblieben war. Dass er mit Svetlana nicht abgeschlossen hatte. Auch wenn er kein Pole war, auch wenn er aussah wie ein deutscher Klotz, auch wenn er Svetlana nur wenige Tage gekannt hatte. Es war ihm gelungen, die Sache aufzuklären.
Robert Adamek hatte ihm einen Apfelsaft eingeschenkt,und beide hatten lange Zeit einfach so schweigend
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