Halbmast
erklären konnte. Er setzte sich auf den Boden, Bernstein nahm ihm gegenüber auf einem großen Lüftungsgehäuse Platz. Niemand sagte ein Wort, sie lauschten nur angestrengt, was auf dem Aufnahmegerät leise zu hören war. Es war nicht wirklich interessant, nach wenigen Sätzen wurde Bernstein ungeduldig und sagte: «Weiterspulen …»
Erst ein längerer Monolog des Journalisten, in dem er über die Machtspielchen der Werft und die ganzen politischen Zusammenhänge palaverte, ließ Bernstein ein wenig aufhorchen. «Ach, so ein Mist», kommentierte er. Nachdem der Journalist verstummt war, hörte man nur ein langsames Schnaufen. «He, spul weiter!», sagte Bernstein.
«Aber da kommt noch was!», antwortete der technisch versierte Sicherheitsmann und zeigte auf das Display. «Das ist noch nicht zu Ende. Die Anzeige hier gibt an, dass dieser Track … hmm, also zu Deutsch: diese Aufnahme hier insgesamt zwölf Minuten lang ist, aber bislang läuft sie erst drei Minuten.»
«Wie? Das kapier ich nicht!»
«Das nennt man Ghost-Track. Auf manchen CDs ist hinter dem letzten Lied noch ein Song oder so etwas versteckt, daher kenne ich das. Wir sollten es laufen lassen, vielleicht ist die Aufnahme hier noch nicht zu Ende …»
«Wenn du meinst.» Sie schwiegen. Bernstein steckte wieder eine Zigarette zwischen die Lippen. Marten lehnte sich gegen die Wand. Er hoffte, dass der junge Bengel Recht hatte. Wenn dieses Gerät nun vielleicht tatsächlich irgendeinen Beweis erbringen konnte, dass er nicht gelogen hatte, dann …
«Hey, was machen Sie hier?»
Es war die Stimme des Journalisten. Man hörte Schritte und ein Geräusch, als wenn eine Schranktür gegen die Wand stieß.
«Ich tue Ihnen nichts!
Ich bin von der Zeitung. Was machen Sie hier? Warum haben Sie sich im Klo versteckt?» – «Ich gehen gleich!» – «Blinder Passagier?» – «Ich gehen gleich!» – «Ist ja irre. Wie sind Sie denn an Bord gekommen?»
«Das kann nicht wahr sein. Marten, das haben Sie getürkt …», sagte Bernstein leise, ohne seine Ohren vom Diktiergerät abzuwenden.
«Sind Sie vom Personal?» – «Fenster putzen!» – «Heute Abend noch?» – «Ja!»
«Bei der Eiseskälte?» – «Ja! Kto pracuje, ten se nie zaluje. Jaka praca, taka píaca. Gute Arbeit, gutes Geld!»
Marten kannte die Stimme. Er kannte den Spruch. Er kannte das schlecht betonte Deutsch. Ihm wurde übel.
«Erzählen Sie keinen Quatsch! Ich tu Ihnen nichts. Ich werde kein Wort über Sie erzählen, aber ich möchte gern von Ihnen wissen, was Sie hier wollen!» – «Nein!» – «Warum nicht?» – «Nein!» – «Dann werde ich jetzt wieder da reingehen. Dort sitzen all die wichtigen Herrschaften und trinken Champagner. Sie werden sich mit Sicherheit sehr dafür interessieren, dass auf der Herrentoilette ein Fensterputzer versteckt ist!» – «Bitte tun Sie es nicht!»
Man hörte wieder Schritte. Dann ein bittendes Rufen:
«Tun Sie es nicht! Ich sage Ihnen, was ist los!» – «Machen Sie sich keine Sorgen, wenn Sie nicht gerade eine größere Straftat begangen haben, sehe ich mich nicht veranlasst, Sie zu verraten!» – «Ich haben nicht Mord begangen, aber Schmidt-Katter!» – «Wie?» – «Er und seine Leute haben meine Tochter umgebracht!» – «Sie machen Witze!» – «Wie können Sie sagen, ich mache Witze, wenn ich Ihnen sage, meine Tochter ist tot!» – «Sie haben Recht, Entschuldigung! So habe ich es nicht gemeint. Ich war nur so …» – «Meine Tochter war schwer krank, und keiner ist gekommen, weil sie ist nicht so wichtig wie deutscher Arbeiter.»
Robert Adamek war ebenfalls hier an Bord. Vielleicht war er ihm gefolgt, vielleicht auch auf eigene Faust hier. In seiner Kluft als Fensterputzer hatte er sich an Bord begeben. Vielleicht war er es gewesen, der heute Morgen diese Zigarette im Rettungsboot geraucht hatte. Vielleicht war er es gewesen, der Wolfgang Grees …
«Wollen Sie mir davon erzählen? Wenn das wahr ist, was Sie eben angedeutet haben, dann sollte die Öffentlichkeit davon erfahren!» – «Ich möchte es lieber nicht. Ich habe Angst, dass wir dann alle nicht mehr arbeiten dürfen!» – «Ist Ihnen das wichtiger als der Tod Ihrer Tochter?» – «Wir sind über fünfzig Arbeiter! Fast alle ohne Papiere. Es gibt Ärger …» – «Und?» – «Alle müssen sie dann nach Hause fahren, und zu Hause ist kein Geld, keine Arbeit. Und ich bin daran schuld, wenn alle meine Freunde dann sind arm.» – «Wollen
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