Halbmondnacht
können. Stattdessen hatte er zugelassen, dass sein Widersacher ein neues Rudel gründete. Aus gutem Grund: Unruhige, unberechenbare Wölfe machten jedem Alpha das Leben unnötig schwer, und mit Red war noch nie gut Kirschen essen gewesen. Sein schlechter Einfluss hatte das Rudel ja bereits entzweit. Also war es besser gewesen, gar nicht erst zu versuchen, den Riss wieder zu kitten und Unruhestiftern gewaltsam eine Sinnesänderung aufzuzwingen. Nein, mein Vater hatte keine andere Wahl gehabt. Die Wölfe, die unter Reds Führung zusammen mit ihm das ursprüngliche Rudel verlassen hatten, umgab bereits ein ganz bestimmter Geruch von Aufsässigkeit.
Eigentlich war mein Vater gar nicht so traurig darüber gewesen, dass sich diese Querulanten endlich verzogen hatten.
»Glaubst du, Redman könnte hinter der neuen Splittergruppe stecken?«, fragte ich. »Nach allem, was ich im Laufe der Jahre über ihn gehört habe, wäre ihm das durchaus zuzutrauen.«
»Nun, ausschließen lässt sich das momentan noch nicht. Aber der einzige Grund, warum Red meinem Kommen zugestimmt hat, ist ja gerade, um mir zu beweisen, dass er mit der neuen Splittergruppe nichts zu tun hat.« Dad schwieg einen Moment. »Er weiß, dass ein Krieg unmittelbar bevorsteht. Und er weiß, dass der Norden den Süden in einem solchen Bruderkrieg auslöschen würde. Sein Rudel ist bis zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Es ist ihm daher sehr daran gelegen zu beweisen, dass er Verrätern keinen Unterschlupf gewährt. Aber irgendwo müssen sie ja stecken, und Red hat keine Erklärungen dafür geliefert, wo seine fehlenden Wölfe abgeblieben sind. Diese Splittergruppe muss einen Stützpunkt in den USA haben, und der muss nahe genug sein, dass sie im Bedarfsfall rasch zuschlagen können.«
»Sie sind sicher nicht hier im Norden.«
»Verdammt richtig, hier im Norden sind sie nicht. Sie würden es nicht wagen, sich in meinem Revier breitzumachen. Wenn auch nur einer von ihnen etwas Gehirnschmalz besitzt, was zu bezweifeln ist, dürften sie sich irgendwo in den entlegensten Grenzgebieten der Southern Territories verstecken. Meiner Einschätzung nach käme dafür das Sumpfland in Florida infrage oder das Hochland von Mexiko. Wenn die Splittergruppe also angreift, fällt sie zuerst über den Süden her, wird dann versuchen, neue Wölfe einzugliedern, und schließlich vom Süden aus nach Norden vorstoßen. Es wird einiges mehr als diese bunt zusammengewürfelte Truppe brauchen, um gegen meine Wölfe zu bestehen, und die Splittergruppe weiß das auch. Entweder wird Redman sich auf unsere oder auf deren Seite schlagen. Er ist selbstsüchtig bis auf die Knochen. Daher steht zu vermuten, dass er es sich so leicht wie möglich machen wird. Gegen mich anzutreten, wäre zweifellos ein fataler Fehler seinerseits.«
»Stimmt«, bekräftigte ich, »denn nach so langer Zeit dürfte er sicher Geschmack an der Macht gefunden haben, die ihm als Rudelführer zukommt. Er wird sich nicht gegen dich wenden und damit Stellung und Macht riskieren. Aber wenn Redman nicht für den Aufbau der Splittergruppe verantwortlich ist, wer dann?« Immer und immer wieder, seit ich New Orleans verlassen hatte, hatte mich dieser Gedanke beschäftigt. Doch wie sehr ich auch gegrübelt hatte, es war nichts Sinnvolles dabei herausgekommen. »In der Nacht auf der Lichtung hat Stuart Lauder gehandelt, als hätte er das Kommando. Allerdings kann er unmöglich hinter der ganzen Operation gesteckt haben. Auf sich allein gestellt hätte er niemals eine so große Gefolgschaft um sich scharen können. Dafür hatte er einfach nicht genug im Kopf.« Meine Augen funkelten, als ich mich an den Kampf erinnerte. »Sein Vater hingegen schon.« Während meiner Kindheit und Jugend im Rudel war Hank Lauder einer meiner größten Widersacher gewesen. Momentan lief er immer noch frei herum. Und ich hatte seinen einzigen Sohn getötet. Er würde hinter mir her sein, um Vergeltung zu üben. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er zuschlug.
»Ich habe zwei meiner besten Fährtenleser auf Hank angesetzt. Er hält sich immer noch irgendwo in den Ozarks auf. Wahrscheinlich hat er sich verkrochen und betrauert seinen Verlust. Meine Wölfe haben ihn noch nicht aufgespürt. Aber er wird für die Missetaten seines Sohnes Rede und Antwort stehen müssen, darauf kannst du dich verlassen. Sobald sie ihn zurückgebracht haben, kitzeln wir alles aus ihm heraus, was er weiß. Aber ich bezweifle, dass das sonderlich viel sein wird.
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