Halbmondnacht
Wölfin schnappte nach mir. Sie wollte, dass ich auf die Beine kam und wir uns aus der Gefahrenzone verzogen. Was das anging, war keine Debatte nötig. Ich sprang auf und trat einen Schritt zurück. Ich hatte jede Menge Prellungen davongetragen; ein blauer Fleck reihte sich an den anderen, und meine Arme waren mit blutenden Schürfwunden übersät. Meine Verletzungen heilten bereits, aber es würde wohl noch eine Minute dauern, bis ich wiederhergestellt wäre.
Hinter mir hörte ich Wasser sprudeln. Mein Kopf zuckte in die Richtung des Geräuschs. Najaden wühlten das Wasser in so großer Zahl auf, es sah aus, als wäre der Fluss ein Laichgrund für Aale. Ineinander verzwirbelte Tangwedel tanzten auf der Wasseroberfläche, ein lebender, dicht gewebter Teppich von moosgrüner Farbe. Das Abenteuer mit den Najaden aber hatte ich bereits überstanden und an einer Wiederholung wahrlich kein Interesse.
Najaden hinter mir, Skorpinnen vor mir.
Ich kanalisierte die Energie meiner Wölfin und fletschte die Zähne. Dann knurrte ich in Richtung Fluss: »Kommt mir jetzt ja nicht blöd, kapiert?! Was euch dann blüht, wird euch nicht schmecken, versprochen!«
»Halte durch!«, hörte ich Danny von irgendwo in meiner Nähe rufen. Mein Blick huschte nach links zu einer Gruppe vonSchwarzbirken, wie man sie häufig in Ufernähe findet. Auch hier standen sie unmittelbar am Wasser. Kurz vor dem Mini-Wäldchen rollte Danny hinter einem Haufen Geröll hervor. Er setzte sich auf und klopfte sich den Staub und Dreck vom Leib. »Na, das war mal ein Höllenritt, was! Hatte echt nicht erwartet, dass …«
»Danny, pass auf!«, brüllte ich im selben Moment, als etwas Grünes so schnell, dass man nur einen verschwommenen Fleck sah, aus dem Wasser schoss.
Ich sprang.
Wie rasant die Najade auch aus dem Wasser geschnellt war, in meiner Lykanergestalt war ich fast genauso schnell, und ich bekam sie zu fassen. Sie hatte schon die ellenlangen Arme nach Danny ausgestreckt, und ihr Körper trocknete außerhalb der natürlichen Umgebung bereits aus, verschrumpelte vor meinen Augen. Ich pflückte sie aus der Luft, und als wir gegeneinander prallten, stieß ich ein aggressives Wolfsgeheul aus. Danny rollte sich aus dem Weg. Die Najade und ich stierten einander direkt ins Gesicht, ihres war schreckensstarr. Ihre Augen hatten etwas modrig Schleimiges; es war schaurig. Sie wog fast nichts, was ebenfalls schaudern machte. Meine Reißzähne waren ausgefahren, und meine Klauen, die ich der Najade auf Schulterblatthöhe in den Rücken trieb, gingen durch ihr weiches, schwammartiges Fleisch wie durch Butter und traten vorn aus der Brust wieder aus.
Als wir auf dem Boden aufschlugen und ich sie unter mir begrub, hatte ich zuerst und vor allem mit Übelkeit zu kämpfen. Ich spürte, wie die Najade sich unter mir wand und sah sie mit weit offenem Mund nach Luft japsen. Wie ein Fisch auf dem Trockenen. Jedes Mal, wenn sie das Maul aufriss, entblößte sie die Reihen scharfer Hai-Zähne und eine Zunge, die wie ein riesiger grüner Wurm in der Mundhöhle hin und her zuckte.
Mit rauer Kehle knurrte ich ihr zu: »Wenn du deinen Leuten sagst, dass sie den Rückzug antreten sollen, lass ich dich gehen.Es ist nicht unsere Absicht, dir Leid zuzufügen. Aber ich werde es tun, wenn es nötig ist.«
Der Wassergeist warf sich unter mir immer noch hin und her, zappelte und zuckte. Ob die Najade mich verstanden hatte? Damit war ich glatt überfragt. Wir waren der Wasserlinie sehr nah, und das Wasser begann wieder zu brodeln. Die wütenden Najaden wollten ihre Genossin zurück. Ich blickte hinunter in das Gesicht meiner Gefangenen und beobachtete, wie ihre Augen in den Höhlen einzuschrumpeln begannen. Diese Najade war eindeutig ausgewachsen. Sie war doppelt so groß wie die, gegen die ich im Wasser gekämpft hatte. Der Zustand von Haut und Fleisch aber verschlechterte sich in alarmierendem Tempo, wie ich jetzt erkannte. Größere Hautstücke, sogar mit Fleisch daran, fielen meiner Gefangenen vom Körper und landeten auf dem Kies am Flussufer. »Ich will dich nicht töten«, blaffte ich. »Gib mir ein Zeichen, dass du uns nicht noch einmal angreifst, und ich werfe dich zurück ins Wasser! Hast du mich verstanden?«
Plötzlich hielt der Wassergeist still.
Mir blieben nur Sekunden, eine Entscheidung zu treffen, dessen war ich mir sehr wohl bewusst. Ich stemmte mich hoch und schob mich halb von der Najade. Würde sie das nutzen, um sich gegen mich zu wehren? Nein, sie
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