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Halbmondnacht

Halbmondnacht

Titel: Halbmondnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Carlson
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»Eamon«, wandte ich mich an den Vampir, »wo ist deine Schwester?« Untätig und uninteressiert starrte er auf die Invasion der Kriechtiere; die Antwort auf meine Frage blieb er mir schuldig. »Eamon! Wenn du schon hier bist, könntest du uns doch auch helfen. Bitte flieg Ray in Sicherheit.« Ich schob Ray auf ihn zu.
    Eamon wandte sich zu mir um. »Ich kümmere mich nicht um den Menschen. Es ist mir egal, ob er am Leben bleibt oder nicht.«
    »Warum bist du dann zurückgekommen?« Mitten in der Bewegung hielt ich inne. »Nur um nutzlos und ungefällig zu sein?« Er stand zwischen uns und den Skorpinnen. Ich hatte keine Ahnung, wie die Biester hießen, also gab ich ihnen den Namen, den sie meiner Meinung nach verdienten. Ich war bereit, Eamon noch ein winziges bisschen mehr Zeit zum Antworten zu geben, gerade weil er zwischen uns und den Skorpinnen stand. Über die Schulter hinweg warf ich Danny einen Blick zu. »Ist hinter dir noch Platz zum Ausweichen?« Ich schob mich bereits rückwärts in seine Richtung und schleifte Ray mit, den immer wieder Hustenanfälle schüttelten.
    »Die haben kein Interesse an mir«, rief Tyler uns vom anderen Ende des Felsvorsprungs zu. »Sie konzentrieren sich ganz auf dich. Ich klettere mal weiter hoch und schaue, ob ich einen Felsbrocken losbekomme, mit dem sie sich zerquetschen oder vom Sims hauen lassen.«
    In diesem Moment entschloss sich Eamon, doch noch den Mund aufzumachen. »Um deine Frage zu beantworten: Ich bin zurückgekommen«, sein Tonfall war hochnäsig und schnippisch wie gehabt, »weil ich noch in deiner Schuld stehe. Du hast das Leben meiner Schwester gerettet. Wenn ich euch helfe, diesen Krabbeltieren hier«, er deutete auf die Skorpinnen, »zu entkommen, betrachte ich meine Schuld als gänzlich abgetragen.«
    »In Ordnung. Begleiche deine Schuld, indem du uns hilfst, diese Krabbeltiere loszuwerden, und wir zwei sind quitt.« Inzwischen stand ich mit dem Rücken am Steilhang des Bergs. Danny klebte neben mir an dem Gestein. Von dem Felsvorsprung war nicht mehr viel übrig, wohin man hätte treten können. »Wo ist deine Schwester?«
    »Ich bin hier«, meldete sich Naomi und landete anmutig gleich hinter ihrem Bruder. »Wir befinden uns unmittelbar vor Selenes Zuflucht. Dies ist der letzte Verteidigungsring, den sie um das Portal gelegt hat. Sonst habe ich keine weiteren Fallen entdecken können. Aber meine Gabe, Übernatürliches zu erspüren, ist beiWeitem nicht so ausgeprägt wie deine, mon frère .« Sie durchbohrte den Rücken ihres Bruder mit anklagenden Blicken. Eamon jedoch rührte sich nicht vom Fleck und zeigte auch sonst keine Regung.
    »Naomi, ich möchte, dass du Ray von hier weg und in Sicherheit bringst. Aber nicht in die Nähe von Wasser, wenn’s geht. Wir selbst können ihn nicht mitnehmen. Vielleicht setzt du ihn in irgendeiner Baumkrone ab, damit er noch ein paar Minuten am Leben bleibt und wir unsere nächste Aufgabe angehen können.«
    »He, ich bin doch kein Affe, Hannon«, maulte Ray unter Husten und Spucken. »Ich will nicht in irgendeiner gottverdammten Baumkrone hängen!«
    »Ich bringe ihn hier weg und suche einen sicheren Platz für ihn«, versprach Naomi. Sie streckte die Hand nach ihm aus, er aber stolperte rücklings gegen mich. Naomi drohte ihm mit erhobenem Finger und sah mich an. »Ich bringe zuerst den Menschen hier weg. Dann komme ich zurück und hole dich.« Ihre Augen hatten sich zu Schlitzen verengt. Offenkundig wartete sie nur darauf, dass ich widersprechen würde.
    Aber dieses Mal hatte ich keine Einwände. Nachdem sie mir Treue gelobt hatte, musste und wollte ich ihr vertrauen, oder das neu geknüpfte Band zwischen uns wäre gänzlich wertlos.
    »Das lass ich nicht mit mir machen!« Ray wich noch einen Schritt weiter vor Naomi zurück. »Ich kann ganz wunderbar auf mich selbst aufpassen. Lasst mich also bloß in Ruhe.«
    »Ray, du hast gar keine Wahl.« Ich versetzte ihm einen Stoß, der ihn direkt in Naomis Arme beförderte. »Wenn eins von den Viechern dich sticht, ist es aus mit dir. Dann wachst du nie wieder auf. Das kannst du doch unmöglich wollen. Nicht, nach allem, was wir schon hinter uns haben.«
    Ehe Ray zu einer Antwort ansetzen konnte, packte Naomi ihn und flog hoch hinauf in die Lüfte. Rays schriller Schrei zerriss die Stille der Berglandschaft. Die Vorstellung, wie angepisst ersein dürfte, wenn wir ihn wieder auflasen, entlockte mir ein leises Kichern. Dann aber gehörte Eamon meine ganze Aufmerksamkeit.

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