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Halbmondnacht

Halbmondnacht

Titel: Halbmondnacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Carlson
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quer durch die Höhle auf mich zu.
    Mir fiel ein verzogener Holztisch auf, der blutverkrustet und mit Geweberesten übersät war. Ich nutzte die Schnelligkeit, die mir mein Dasein als Übernatürliche einbrachte, legte einen fliegenden Start hin und sprintete zu dem Tisch hinüber. Die Füße voran schlitterte ich unter den Tisch. Selenes rote Magieblitze, die sie mir übereilt hinterherjagte, schlugen einen halben Meter hinter mir mit solcher Wucht ein, dass der Boden bebte. Die Detonation riss einen Krater, und es regnete Steinsplitter auf die hölzerne Tischplatte.
    Dem nächsten magischen Angriff hielte der Tisch sicher nicht stand.
    Ich streckte meinen Kopf unter dem Tisch hervor und schaute mich nach einer anderen Deckung um. Jemanden zu bekämpfen, den ich nicht sehen konnte, war schlichtweg unmöglich. Und ich konnte nicht einmal Magieblitze werfen wie meine Gegnerin. Verflixt noch eins. Siehst du Rourke oder Naomi irgendwo? Rourkes Geruch schwängerte immer noch die Luft, aber ich sah ihn nirgends. »Wer ist denn jetzt der Angsthase, Selene?«, spottete ich. »Dich selbst mit einem Zauber zu belegen, so was machen doch nur Weicheier! Du glaubst doch, verglichen mit dir, wäreich der Schwächling. Aber wenn du meinst, du müsstest derartige Vorsichtsmaßnahmen treffen, musst du verdammt Schiss haben.« Ich hatte meine nächste Deckung ausgemacht: eine Spalte im Fels, zehn Schritt entfernt von mir. Mit etwas Glück könnte ich dort den nächsten Blitzeinschlag überstehen.
    »Ich habe keine Angst vor dir, Schlampe«, fauchte Selene. »Ich bin nur nicht so dumm, mich in die Reichweite eines wilden Tiers zu begeben.« Die Felswände warfen ihre Stimme als vielfaches Echo zurück. »Aber jetzt komm und schau nach oben. Schau dir an, was für nette Geschenke hier auf dich warten.«
    Sieh nicht hin.
    Ich sah hin.
    Mein Zwerchfell verkrampfte sich so heftig, dass ich glaubte, nie wieder Luft in meine Lungen zu bekommen. Nein, nein, nein, nein, nein! , schrie ich innerlich. Meine Wölfin heulte auf, mein Schmerz war auch der ihre.
    Wie Nebel sich vom Moor hebt, verflüchtigte sich Selenes Tarnzauber allmählich, und zum ersten Mal konnte ich Rourke sehen. In zehn Metern Höhe hing er kopfüber in der Felskuppel. Soweit ich erkennen konnte, war sein Oberkörper, vom Bauch bis zur Brust, aufgeschlitzt. Der Schnitt war tief, die Wundränder ausgefranst, als wäre ein stumpfes Werkzeug dazu benutzt worden. Der ganze Rumpf war aufgebrochen wie bei einem erlegten Tier. Die Eingeweide hingen heraus. Allmächtiger. Seine wunderschönen, tätowierten Arme baumelten schlaff herab und waren dick mit geronnenem Blut verkrustet, die Handgelenke mit massiven Silberketten gefesselt. Und noch immer lief ihm frisches Blut die Arme hinunter und platschte in dicken Tropfen zu Boden   – nur Meter von der Stelle entfernt, an der ich stand und entsetzt zu ihm hinaufstarrte.
    Selene hatte ihm all diese unaussprechlichen Grausamkeiten erst vor kurzer Zeit angetan. Sie hatte ihn aufgeschlitzt und ausbluten lassen. Zu ihrem Vergnügen. Und damit ich sein qualvollesSterben unmittelbar miterlebte. Wenn es schon länger her gewesen wäre, wäre kein Blut mehr geflossen.
    Ein Laut kam über meine Lippen, der meinen Schmerz, meinen tiefen Kummer verriet, während ich versuchte, mit nichts als Willenskraft Rourkes Wunden zu schließen. Bitte, Liebster, mach, dass deine Wunden heilen , flehte ich und fragte dann meine Wölfin: Hält diese Teufelin seine Brust mit irgendwas offen, sodass die Wunden sich nicht schließen können? Sie antwortete nicht. Stattdessen fletschte sie die Zähne, geiferte so rasend vor Wut, dass ihr Schaum vor der Schnauze stand. Wie gebannt von den Schmerzen, die mein Gefährte durchlitt, kroch ich unter dem Tisch hervor. Mir war, als zerspringe mir das Herz. Das Kerzenlicht flackerte, und da sah ich etwas in seinem Brustkorb funkeln. Silber. So also hält Selene die Wunde offen, mit Silberinstrumenten. Da kann nichts heilen! Meine Wölfin stand reglos da, die Ohren angelegt, und ein wildes Grollen löste sich aus ihrer Kehle. Wir müssen ganz schnell zu ihm. Ich stürzte los. Sie hat seine Wirbelsäule nicht verletzt. Noch können wir ihn retten   …
    »Gefällt dir, was du siehst?« Selene kicherte. Ich rannte weiter. »Momentan ist er vollauf damit beschäftigt zu sterben. Aber kannst du sehen, wie wunderschön es überall an ihm schimmert und glitzert? Ahh, und dieser Geruch! Der Tod hat einen ganz besonderen

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