Halbmondnacht
abgesehen. Sie haben meine Nichte mitgenommen, weil sie Sie hier nicht angetroffen haben. Wahrscheinlich wollen sie von Marcy Informationen erpressen. Aber mit etwas Glück können wir sie auslösen.«
Ich blickte auf die Hexe hinab. Sie musste absolut nichts beweisen, ihre bloße Präsenz reichte vollkommen. In absolut jeder Hinsicht war sie das genaue Gegenteil von Selene. »Ich bin sofort bereit, mich gegen Marcy austauschen zu lassen. Aber wie können wir sicher sein, dass sie sie nicht doch umbringen, auch wenn wir einen Austausch einfädeln? Wir sollten sie besser da raushauen und rasch zuschlagen, ehe die mit irgendwas rechnen.«
Tally neigte den Kopf zur Seite, musterte mich und nahm jedeKleinigkeit meines derangierten Aussehens zur Kenntnis und meine große Klappe. »Sie glauben, Sie könnten es tatsächlich mit der ganzen Zauberergemeinde aufnehmen? Nur Sie und Ihre zusammengewürfelte Mannschaft«, sie blickte über meine Schulter hinweg und deutete auf die Jungs hinter mir, »und all die mächtigen Kriegszauber, die Sie beherrschen? Mädchen, das ist kein Kinderkram! Hier geht es um eine große Sache. Der Hohe Rat der Zauberer wird massiv geschützt, und Sie können dort nicht einfach antanzen und unbemerkt bleiben.« Sie war gereizt, wie ihr Tonfall verriet, und der ganze Raum füllte sich mit Energie. Mein Blick wanderte hinunter zu ihren Fingerspitzen. Sie sprühten Funken, die sichtbare und spürbare Manifestation von Magie, die bereit war, sich zu entladen. Ganz wie bei Selene. Tallys Magie war purpurrot, kardinalsrot.
»Nein, aber Sie könnten das.«
Kurz huschte Überraschung über ihr Gesicht. »Nein, nicht einmal ich könnte dort hinein, ohne aufzufallen. Ich strahle viel zu viel Energie aus. Was ich allerdings tun könnte, wäre das gesamte Zauberernest in die Luft zu jagen und damit meine Nichte wahrscheinlich gleich mit. Dafür aber müsste ich die Zauberer erst finden. Und es sind Zauberer, vergessen Sie das nicht, keine süßen Hoppelhäschen. Sie sind sehr talentiert darin, Magie einzusetzen, und daher enorm gefährlich. Ich kann ihre Zauber lösen und ihre Banne brechen, alle ihre Schutzzauber aufheben, ja. Aber das würde überhaupt nichts nützen. Sie würden mich sogar mit noch mehr Zaubern erwarten. Kein Zauberer würde meine Nichte einfach mir nichts, dir nichts entführen. Sie wissen, zu was ich in der Lage bin. Hier handelt es sich um einen gut überlegten, von langer Hand vorbereiteten Coup. Sie werden Marcy also an einen Ort bringen, den wir nicht rechtzeitig aufzuspüren vermögen. Das Einzige, was uns zu tun bleibt, ist, sie freizukaufen. Nur so ist zu verhindern, dass alles und jeder bei dieser Sache sein Leben verliert.«
»Sie mögen nicht in der Lage sein, Marcy zu finden; wir schon.« Ich machte mich auf in Richtung Tür. »Unsere Nasen sind dafür gemacht, Witterungen aufzunehmen und Spuren zu folgen.«
»Ziemlich große Worte von einem neugeborenen Wolf.« Tally machte nur einen Schritt auf mich zu, und schon knisterte die Luft um mich herum vor Energie. Hinter mir hörte ich Rourke knurren. »Es interessiert mich nicht, dass Sie die einzige Weibliche Ihrer Art sind. Denn das bedeutet keineswegs, dass Sie automatisch eine ganze Armee von Zauberern zu besiegen in der Lage sind ohne irgendein Training.«
»Richtig, ich allein nicht, aber wir alle zusammen können es.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Was also schlagen Sie vor?«
»Wir nehmen Marcys Witterung auf, spüren das Versteck auf, in das man sie gebracht hat, und holen sie uns zurück.«
»Und was ist mit dem Wolf, der ihr und ihren Entführern bereits nachgesetzt ist?«, fragte Tally. »Wenn es so einfach wäre, wie Sie meinen, wäre er doch längst mit ihr zurück.«
»Hä?« Das hatte ich nicht erwartet. »Welcher Wolf? Wovon reden Sie denn da?« Rasch schnupperte ich ein weiteres Mal, um selbst herauszufinden, worauf Tally anspielte. Aber unter der schweren Wolke von Tallys Magie roch mein Büro wie ein ganzer Wolfsbau. Schließlich war das Rudel letzte Woche erst hier gewesen. Überall Wolfswitterung. Wie hatte Tally da herausfinden können, welcher Wolf Marcy gefolgt war?
»Nun, richtig, er mag keinen Erfolg gehabt haben, was Marcys Befreiung angeht, aber er könnte immerhin eine Spur aufgenommen haben«, räumte die gefürchtete Hexe widerwillig ein. »Wenn Sie ihn zu fassen bekommen, hätten wir zumindest einen Ausgangspunkt für unsere Suche.«
»Tut mir leid, aber ich habe immer noch nicht
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