Halbmondnacht
schnäbelt. Ich bin ein sensibler Kerl; euch zuzusehen drückt auf meine Laune.«
Ich kicherte und wandte mich wieder dem Fenster zu, um Rourke zu beobachten. Er schlich in einem von Tylers T-Shirts um das Gebäude herum. Das Shirt spannte sich in schon fast lächerlicher Weise um seinen durchtrainierten Oberkörper, jeder ausmodulierte Muskel, jedes Muskelspiel war genau zu sehen. Seine Bewegungen waren von animalischer Eleganz, eine Raubkatze auf Beutezug. Meine Wölfin knurrte. Ja doch, wir vernaschen ihn schon ganz bald oder er uns. »Naomi wird bald wieder zu uns stoßen«, tröstete ich Danny und warf ihm einen Blick zu. »Vielleicht geht sie ja dann auch gleich mit dir aus, wenn du sie darum bittest.«
Danny gab ein ersticktes Geräusch von sich, ehe er antwortete: »Ja, vielleicht mache ich das tatsächlich.«
Seiner Reaktion wegen neugierig geworden, suchte ich in seinem Gesicht zu ergründen, was ihn umtrieb. Aber er wandte sich ab, und ich hatte keine Chance dazu.
Wir hatten vereinbart, uns mit Naomi in Rourkes Hütte oben in den Ozarks zu treffen. Das war der einzige Ort, den wir auch relativ kurzfristig gut erreichen konnten. Sollte Ray die Wandlung überleben, würde er, so jedenfalls hatte uns Naomi erklärt, Menschen für einige Zeit meiden müssen. Es war natürlich riskant, dorthin zurückzukehren, wo Vampire und abtrünnige Wölfe uns aufgelauert hatten. Aber gerade deswegen, und in dem Punkt stimmten wir alle überein, war Rourkes Hütte vielleicht auch der letzte Ort, an dem man uns erwarten würde.
Ich beugte mich vom Rücksitz nach vorn zum Beifahrersitz. »Schau, da hat gerade jemand mein Büro betreten.« Mein Büro war direkt an der Ecke, die unserem Parkplatz am nächsten war. Die Gestalt stand hinter meinem Schreibtisch und schien ihn zu durchsuchen. »He, was macht die denn da?« Ich verengte die Augen, um schärfer sehen zu können. »Zumindest scheint das eine Frau zu sein.« Ich drängte mich näher ans Fenster heran. »Sieht zu zierlich für einen Mann aus, richtig? Könnte auch ein Kind sein.« Es war schwer zu sagen, da die Gestalt ziemlich klein war, zwischen eins fünfzig und eins fünfundfünfzig, sicher nicht größer. Sie hatte sich eine schwarze Kappe tief ins Gesicht gezogen. »Da ist Nick!« Ehe ich wusste, was ich tat, hatte ich auch schon die Wagentür aufgestoßen und war hinausgesprungen, so schnell, dass alle Proteste hinter mir ungehört verhallten. Ganz kurz schoss mir durch den Kopf, dass ich nicht durch die Nacht hetzen sollte, auf ein Problem zu, ohne zu wissen, von wem oder was die Bedrohung eigentlich ausging. Aber meinen Körper schien das alles nicht zu interessieren. Das da im Gebäude war mein bester Freund. Meine Wölfin knurrte und drängte mich einzugreifen.
Vor der Eingangstür wurde ich von einem Arm, der sich mir um die Taille legte, hart und effektiv zurückgerissen. Die Gelegenheit, einfach in irgendwelche Schwierigkeiten hineinzuplatzen, war damit vertan. Gott sei Dank. »Jess«, schnurrte mir Rourke ins Ohr, »es ist bestimmt eine gute Idee, es ein bisschen langsamer angehen zu lassen. Vorsicht schadet ja nicht.« Er drehte mich in seinem Arm zu sich. Er grinste, und sein unverwechselbarer Geruch schwappte zum tausendsten Mal über mich hinweg. Meine Wölfin winselte voller Wonne.
»Jemand ist zusammen mit Nick in meinem Büro. Wir müssen da rein«, brachte ich mein schlagendstes und einziges Argument vor und blickte meinem Gefährten in die Augen. »Wer auch immer da drin ist, veranstaltet gerade eine nette Party mit meinen Akten. Besonders groß kann die Gefahr nicht sein. Sonst liefe Nick nicht frei herum, sondern säße gefesselt in einem der Hinterzimmer.«
»Wer immer zusammen mit ihm da drin ist, besitzt sehr große Macht. Ich wittere eine Hexe, und zwar eine, die ihr Handwerk versteht.«
»Eine Hexe?« Ich sog nun selbst Luft durch Nase und Mund ein, ließ die aufgenommenen Gerüche über meine Zunge wandern. Sofort verspürte ich ein Kribbeln, wie es gerade erst gewirkte Zauber in der Luft hinterlassen. Wahrscheinlich war das der Zauber gewesen, der alle Schlösser geöffnet und alle Lichter eingeschaltet hatte. Außerdem nahm ich vor allem Rosmarin wahr, dazu einige andere Kräuter: Diese Witterung erinnerte mich an Marcys; sie war anders, ja, aber doch sehr ähnlich. Ich legte den Kopf in den Nacken, um zu Rourke aufzuschauen, der sicher einen Kopf größer war als ich. »Das ist jetzt ein bisschen schwierig. Gefahr kann ich
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