Halbmondnacht

tun, solange wir nicht dabei zuschauen. Sie ist sich ihrer Sache verdammt noch mal zu sicher.
    Ohne sich sonderlich anstrengen zu müssen, hüpfte Naomi über ein paar große Felsbrocken. » Non , da waren wir schon fort. Aber ein paar Details sind sogar an den Hof der Vampirkönigin gedrungen. Über viele Jahre hat unsere Königin immer wieder deinen Söldner angeheuert. Sie hat sogar versucht, ihn unter ihre Kontrolle zu bekommen. Vergebliche Liebesmüh. Er ist zu stark dafür. Niemand könnte das. Und als Selene Gefallen an ihm gefunden hatte, steigerte sich ihr Wunsch, ihn für sich zu gewinnen, schnell zur Besessenheit.« Naomi schenkte mir ein Lächeln, das bemerkenswert schief geriet. »Niemand wird je vortreten und es zugeben. Aber wir Vampire haben alle widerwillig Respekt vor ihm. Wir fürchten ihn sogar. Die Magie, die er einzusetzenin der Lage ist, kommt aus einer unergründlichen, nicht versiegenden Quelle. Immer wieder flüstert man sich unter Vampiren zu, er sei vielleicht gar ein Gott oder der Göttlichkeit jetzt sehr nahe.«
    Ein Gott? Göttlichkeit erlangte man in unserer Welt ganz anders, als sich Menschen das gemeinhin vorstellen. Denn Göttlichkeit muss man sich verdienen. Je älter Übernatürliche werden, desto mehr Macht fließt ihnen zu. Mit der Zeit verflochten sich ihre Unsterblichkeit und ihr Wesen immer enger miteinander. Diese Verflechtung erst macht sie immer gottähnlicher und fast unbesiegbar. Und nur so kann man dem wahren Tod dauerhaft entgehen, also wirklich unsterblich werden.
    Aber Rourke ein Gott? Ich schüttelte den Kopf. Pah, das hätte ich doch mitgekriegt! Seine Macht war wirklich unglaublich, aber Götter spielten da doch in einer ganz anderen Liga. »Eines will mir einfach nicht in den Kopf: Warum hat er Selene am Leben gelassen, anstatt sie zu töten, als er Gelegenheit dazu hatte?«, fragte ich dumpf, darauf erpicht, meinen Gedanken eine andere Richtung zu geben. Gott und Göttin; sie mir gemeinsam vorzustellen, sorgte dafür, dass ich wortwörtlich die Krallen ausfuhr und mir ein wildes, tiefes Knurren langsam die Kehle hinaufstieg. »Er muss einen sehr guten Grund dafür gehabt haben.«
    »Vermutlich hat er wie ich angenommen, dass er sie getötet hätte«, erklärte Naomi mit fester Stimme. »Es ist nicht einfach, Selene zu töten, wie viele von uns bereits auf die harte Tour haben lernen müssen. Aber dass Rourke jetzt eine Gefährtin hat, muss für sie wie Salz in ihrer Wunde sein, ein ganzer Ozean voll Salz in einer Wunde, die sie sich all die Zeit geleckt hat. Dafür wird sie ihn auf jede nur erdenkliche Art und Weise büßen lassen.«
    Die Vorstellung, wie Selene Rourke quälte, ließ sofort Fell auf meinen Armen sprießen. Sie würde verdammt tot sein, wenn ich mit ihr fertig wäre! »Selene ist so was von gestört. Ohne sie wird die Welt gleich ein viel besserer Ort sein.«
    » Exactement« , pflichtete Naomi mir bei und schnaubte. »Seit dreihundert Jahren warte ich schon darauf, die Welt von ihr zu befreien.«
    »Hast du echt gerade geschnaubt?« Ich warf ihr über die Schulter hinweg einen belustigten Blick zu und grinste breit.
    Verlegen schlug Naomi den Blick nieder. »Was soll ich sagen? Es ist uns bei Hofe nicht erlaubt, locker oder flapsig zu sein. Ich habe den Hof seit unzähligen Jahren nur noch verlassen, um mir übertragene Aufgaben zu erfüllen. Es ist ein gutes Gefühl, so   … frei zu sein.«
    »Dürfen Vampire sich denn nie vom Hof absetzen?«, fragte ich. »Bei Wölfen passiert das schon mal. Sie werden Einzelgänger und verlassen das Rudel.«
    » Non. Es gibt keinen Ort, an dem ein einzelgängerischer Vampir sicher wäre. Die Königin herrscht über alle Hüter und Hüterinnen auf der ganzen Welt. Wenn wir unserer Königin den Rücken kehren, sind wir den Rest unserer Tage auf der Flucht vor ihr und den von ihr ausgesandten Häschern, die uns töten wollen. Es gibt kleinere, weniger bedeutende Höfe, an denen Hüter andere Vampire um sich scharen. Sie sind mächtig, aber nicht so mächtig wie Eudoxia. Sie ist unser unumstrittenes Oberhaupt und steht über allen anderen Hütern. Als Vampir darf man jedem größeren Hof Treue geloben. Aber der größte und mächtigste Hof ist der der Königin. Hätten wir uns zuerst einem kleineren Hof angedient, hätten wir noch bis zum königlichen aufsteigen können. Aber es ist nicht möglich, sich   … ah, wie sagt man   …« Sichtlich verlegen verstummte sie.
    »Man kann sich nicht selbst im Rang