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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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und das ist alles, sein Dad ist verschwunden, und die Tür zur Garage klappt mit einem dumpfen Geräusch zu.
    «Ich weiß nicht, was du zum Abendbrot essen willst», sagt seine Mom.
    «Ich besorg mir irgendwas.»
    Es ist Zeit, zu gehen – schon längst –, aber er kann sich nicht losreißen. Womit kann er sich entschuldigen, es ihnen begreiflich machen? Nur eine Andeutung, damit es für sie einen Sinn ergibt. Er bleibt mitten in der Küche stehen, als hätte er etwas vergessen, aber eigentlich schindet er bloß Zeit. Wenn er zu spät kommt, muss er es vielleicht nicht durchziehen. Der Gedanke lässt ihn nicht los, hat etwas Merkwürdiges; Tim hält ihn fest, wendet ihn hin und her. Er wird völlig von der Schule beansprucht; er bräuchte bloß weiterzuleben. Könnte es wirklich so einfach sein?
    (Danielle legt ihm die Hand auf die Stirn, wie eine Mutter, die kontrolliert, ob ihr Kind Fieber hat, und vernebelt ihm die Sinne. Die Wirkung geht schnell vorbei [wir tun dasselbe bei Brooks], ein Sekundenbruchteil, in dem etwas ernsthaft infrage gestellt wird, dann völlige Leere – woran hab ich gerade gedacht?)
    «Alles in Ordnung mit dir?», fragt Tims Mom, die zu ihmkommt und den Kopf schief legt, um ihm in die Augen zu blicken.
    «Ja», sagt Tim, aber sie hat ihn am Arm gefasst und hält behutsam sein Handgelenk, als könnte es gebrochen sein.
    «Ich weiß, dass dieser Tag nicht leicht wird», sagt sie, «aber ich kenne dich, du wirst es überstehen.»
    Sie irrt sich so gewaltig, dass er am liebsten lachen würde, so traurig ist es. Wer ist dieser Mensch, an den sie da denkt? Der Tim, der sich um Kyle kümmert, der Tim, dessen Noten besser sind als die vom vorigen Jahr. Den meint sie. Nicht der Tim, der nachts um drei aufwacht und enttäuscht ist, dass es bloß ein Traum war. Nicht der Tim, der seit dem Schulende im Juni die Tage zählt. Diesen Tim will sie nicht kennen.
    Also sagt er: «Ja, du hast Recht.» Denn auch er will nicht, dass sie ihn kennt.
    Er hat seinen Rucksack. Sein Mantel hängt in der Diele im Wandschrank, er sieht genau aus wie der, den seine Mom mit all seinen anderen Kleidern aus jener Nacht weggeworfen hat, sogar seine völlig durchnässten Timbs. Er hat seine neuen an, und oben in seinem Wandschrank wartet neben seiner Uniform ein neues blaues Flanellhemd. Brooks ist nicht der Einzige, der alles rekonstruiert.
    Draußen ist es kalt, der Himmel weiß über den Bäumen. Die Luft riecht nach Pilzen und verfaulten Blättern. Morgen ist November. Dann Dezember, die Tage werden kürzer, und die Nacht kommt früh.
    «Fahr vorsichtig», sagt seine Mom und winkt dann hinter der Sturmtür. Er winkt, ohne zurückzuschauen, über die Schulter. Er wünscht sich, er hätte einen Basketball, mit dem er nach dem Ring werfen könnte. Ein Schwirren – wäre das für sie eine freudige Erinnerung? Gibt’s so was überhaupt?
    Manchmal wirft sie seinem Dad eine Kusshand zu. Das wäre gut, aber als er sich umdreht, ist die Haustür schon zu.
    Er schiebt seinen Rucksack über die Handbremse hinweg und steigt ein, beugt sich vor, um den Schlüssel umzudrehen, und der Jeep springt an. Während der Wagen warm läuft, entwirrt Tim seinen Sicherheitsgurt, lässt ihn einschnappen und streicht ihn über der Schulter glatt. Er kann es kaum glauben – er ist frei.
     
    Diesmal beschwört Kyle den echten Kyle herauf. Einen Jungen, der vor ihm aus dem Bus steigt, stolpert und die Hand nicht rechtzeitig loskriegt, um seinen Sturz abzufangen. Der Junge fällt voll aufs Gesicht, prallt auf den Bordstein und fängt an zu bluten, und wir stehen auf einer Seite der Menge, die sich versammelt hat, um zu helfen, der echte Kyle auf der anderen.
    Er ist es, in schwarzer Jeans und Lederjacke, aber er erkennt uns nicht, scheint uns nicht zu sehen, genauso wenig wie Peggy und die Lehrer, die brüllen, dass alle Platz machen sollen.
    Hey, du Loser, ruft Toe, aber der echte Kyle verblasst schon, wir verblassen, die ganze Szene löst sich in Luft auf. Wir werden weggerufen.
    Zu dem Baum – große Überraschung. Jemand in einem Wagen, es lässt sich unmöglich sagen, wer, so dicht ist der Verkehr. Wir stellen uns für das Familienfoto auf, drei jugendliche Engel.
    Vielleicht kommt sein Erinnerungsvermögen zurück, meint Danielle.
    Das glaub ich nicht. Ich glaube, er ist genau wie wir gezwungenermaßen hier.
    Er ist ein Zwischenwesen, sagt Toe. Es ist, als wäre ein Teil von ihm hier. Sein Körper. Der Rest von ihm ist tot.
    Und was

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