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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Sphären.
    Tim blickt über die Schulter auf den Rücksitz, als hätte er was vergessen, als könnte er Kyle hören, und plötzlich haben wir Angst, dass Kyle stärker ist als wir, dass wir bloß zuschauen können. Danielle wendet bei Tim den vulkanischen Nervengriff an – das war eine Marotte von ihnen –, und er blickt zum Haus zurück. Die Garagentür geht hoch.
    Er sucht nach dem ersten Gang, haut ihn rein, gibt Gas, und der Jeep rutscht auf den Blättern und fährt los – nicht zu verdächtig. Er braust den Hügel rauf, aber auf der anderen Seite denkt er, dass es blöd war, abzuhauen. Was soll schon passieren, wenn sie ihn erwischen? Er hat doch noch nichts getan.
     
    Kyles Mom hat gerade den Knopf für das Tor gedrückt und geht mit dem Kranz zu ihrem Pathfinder, als sie vorm Haus quietschende Reifen hört und ihr fast das Herz stehen bleibt. Sie macht sich auf einen krachenden Zusammenstoß gefasst, auf klirrendes Glas und dann Stille, aber da ist nichts, bloß der aufheulende Motor eines Wagens, der schon verschwunden ist, bevordas Tor halb geöffnet ist. Sie haben Glück, dass auf diesem Hügel noch niemand ums Leben gekommen ist, mit der Einfahrt der Fiedlers direkt daneben; morgens ist das eine Rennstrecke.
    Sie bricht den Gedanken ab, weil sie merkt, dass sie Gespenster sieht. Nicht alle Autos werden in Unfälle verwickelt.
    (Nur das von Toe.
    Leck mich.)
    Sie legt den Kranz auf den Sitz und schnallt sich sorgfältig an, blickt wie ein Pilot in alle Spiegel und setzt vorsichtig zurück. Mark hat es schon angesprochen. Seit dem Unfall fährt sie anders, gibt immer gleich nach. Einer ihrer ständigen Tagträume handelt davon, dass sie jemanden mit dem Wagen totfährt – einen anderen Fahrer, ein Kind auf einem Fahrrad. Sie wünscht, sie könnte die Fahrerei völlig umgehen, alles übers Internet erledigen, aber das ist, trotz all der Versprechungen im Fernsehen, einfach nicht möglich. Ihre Tage bestehen aus einer Reihe von Besorgungen, diktiert vom Straßennetz Avons, der Schleife, die sie fährt, um die Bücherei in der Country Club Road mit dem Mailboxes und dem Postamt in der Innenstadt, mit dem Spirituosenladen, der Bank, dem Blockbuster und dem Stop’n’Shop an der 44 zu verbinden und dann wieder nach Hause zurückzukehren. Sie kennt die Nebenstraßen, für den Fall, dass es ein Problem gibt, weiß, dass man auf dem Old Albany Turnpike am Secret Lake vorbeifahren und in den Parkview Drive abbiegen kann, wenn die Senke am Golfplatz überflutet ist, aber in letzter Zeit versucht sie, ihre Fahrten zusammenzulegen, und wagt sich nur noch in der Mittagszeit hinaus, wo der Verkehr nicht so dicht ist. An manchen Tagen verlässt sie das Haus bloß, um zum Briefkasten zu gehen.
    Sie denkt, dass sich das mit der Zeit legen wird. Daran muss sie glauben. Ein Blick auf uns überzeugt sie: Sie hat Glück gehabt.
    Das Tor rumpelt stufenweise zu Boden, während sie rückwärtsin die Wendestelle fährt. Das geschlossene Haus verrät nichts, steht bloß ausdruckslos und gut instand gehalten da, wie alle anderen in der Straße. Ist es das, worauf sie hoffen: normal zu sein, genau wie ihre Nachbarn, so tun zu können, als wäre alles in Ordnung? Wie kann ein Haus – eine Straße, eine ganze Stadt – eine Lüge sein?
    Sie schafft es unangefochten bis zur Stagecoach Road, lässt am Stoppschild einem neuen grünen VW Käfer die Vorfahrt – hübsch, aber unpraktisch, das Ding; damit würde sie nicht auf dem Highway fahren, das würde ein Unglück geradezu herausfordern. Sie achtet auf das, was sie tut, aufrecht sitzen, beide Hände am Lenkrad, das Handy ausgeschaltet. In der Country Club Road steht jedes Mal eine Schlange, und sie muss warten, doch dann reiht sie sich am Ende ein, lässt sich zurückfallen und fährt weit oberhalb der anderen Wagen. Sie ist darauf gefasst, an der Ampel am Fuß des Hügels halten zu müssen, aber sie kommt noch durch. Sie könnte auf dem Weg zur Bücherei sein – Alice ist schon früh da, ihr Volvo auf der anderen Seite geparkt –, aber sie fährt an der Einfahrt vorbei, lässt den alten Friedhof zur Linken mit seinen von Flechten überzogenen Grabplatten und Granitobelisken aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg nicht an sich heran. Sie könnte rechts in die Burnham Road abbiegen und über die Nebenstrecke schneller hinkommen, aber sie tut es nicht. Sie ist wie Brooks. Sie ist wie Tim. Sie will es richtig machen.
    Vor dem Zebrastreifen für die Golfwagen drosselt sie das Tempo.

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