Halloween
Toe.
Es ist ein Teufelskreis, eine Spirale, ein Strudel. Sie bedauert meine Eltern, weil ich ihr einziges Kind bin, und Danielles Eltern bedauert sie, weil die zwei Schwestern hat. Sie ist so voller Selbstmitleid, dass es sich auf alle anderen ausdehnt. Aber sie will nicht, dass andere sie bedauern. Es reicht, dass sie’s tut.
Okay, das ist ungerecht von uns. Unsere Eltern sind bloß am Boden zerstört und von der Rolle, und sie ist die Einzige, die was für uns angefertigt hat. Und echt, Kyle ist so hinüber, dass sie uns immer noch Leid tut.)
Im Wald gibt es nichts zu sehen, also träumt sie, und die Erinnerung holt sie ein. Auf dieser Strecke hat sie Kyle immer zum Eishockeyspielen gefahren, und sie kann sich noch an das dumpfe Geräusch erinnern, wenn der Puck gegen die Bande knallte, an das Scharren der Schlittschuhe. Die Whalers haben dort trainiert. An den Dachsparren hingen Fahnen mit den Namen der Privatschulen; auf eine von denen wollten sie und Mark ihn später eigentlich schicken: Andover, Choate, Loomis Chafee. (Das hätten sie tun sollen – ein weiteres Was-wäre-wenn.) Was ist aus diesen frühen Samstagmorgen geworden, bei eiskaltem Regen und schlechtem Kaffee in der Snackbar, wo die anderen Mütter ihre Gespräche unterbrachen, um zu jubeln, während ihre Kinder vorbeiwankten?
Sie fährt zu langsam, denn es klebt jemand an ihrer Stoßstange, ein rotbrauner Jaguar, und sie gibt Gas. Das reicht nicht; der Wagen hinter ihr schwenkt über die gelbe Linie, um an ihr vorbeischauen zu können. «Sei kein Idiot», sagt sie. Sie ist versucht, ganz leicht auf die Bremse zu tippen, damit er Abstand hält, weiß aber, dass es sie das Leben kosten könnte. Sie glaubt, dass sie ihn an der Schule loswird; wahrscheinlich ist er auf dem Weg zur Arbeit und fährt die Nebenstrecke zur Route 10. Durch den Waldsieht sie die Nebengebäude der Avon Old Farms School vorbeifliegen, die Fachwerkgaragen und -schlafsäle im Pseudo-Tudorstil, und dann erhebt sich hinter einer letzten Kurve vor den Kiefern das riesige Silo aus rotem Backstein. Die Abzweigung kommt, aber er bleibt hinter ihr, wie angekoppelt, als wäre es eine Verfolgungsjagd.
So wollte sie sich dem Baum nicht nähern, von hinten bedrängt. Es ist nicht mehr weit – eine leichte Rechtskurve und dann noch eine Senke und ein Anstieg –, aber sie ist zu schnell, dort kann man nirgends halten, und plötzlich fährt sie daran vorbei, der Baum taucht auf und ist auch schon verschwunden, die Karten und Bänder und Blumen wirbeln vorbei wie ein leuchtendes Karussell.
«Geh mir von der Pelle», sagt sie und bremst, winkt den Idioten vorbei. «Los, du Trottel.»
Der Jaguar braust vorbei, hupt wütend, und es ist genau, wie sie gedacht hat: ein alter Mann, der ihr den Mittelfinger zeigt.
«Ja, Freundchen», sagt sie, «du kannst mich auch mal.» . (Bravo, Kyles Mom!, sagt Toe.)
Sie hat angehalten, die Hände noch immer am Lenkrad, und atmet durch, schüttelt stocksauer den Kopf. Das ist also ihr Gedenken an Kyle.
Und niemand sonst wird es tun. Niemanden würde es kümmern, wenn sie das Fenster öffnete, den Kranz ins Gebüsch würfe und davonführe. Das Leben würde weitergehen. Das ist das Schlimmste. Sie ist umgeben von stumm vegetierenden Dingen – von Eichhörnchen und Bäumen und Büschen –, und sie ärgert sich darüber. Sie kann nicht anders.
Sie muss in drei Zügen wenden und blickt nervös in beide Richtungen, muss noch einmal an dem Baum vorbeifahren und dann in die Zufahrt der Avon Old Farms School biegen, wo sie über die Straßenschwellen gleitet, als wäre sie unterwegs zur Eisbahn. Das Frühstück ist vorbei; Jungs mit Blazern und Rucksäckengehen über den Hof. Weiße Hemden und einheitliche Krawatten. (Ich weiß, es ist unheimlich, eine seltsame Vorstellung von einer Highschool, aber Kyles Mom denkt, dass es vielleicht ungefährlicher gewesen wäre, ihn wegzuschicken. Kyles Dad wollte das, weil er es satt hatte, sich um Kyles Dreck zu kümmern. Aber wer hätte ihn dann im Auge behalten?)
Sie würde gern bleiben – wie lange ist das her? –, wendet aber auf einem Behindertenparkplatz und fährt zur Straße zurück. So ist es besser, bedächtiger. Sie lässt sich Zeit, der Wagen ruhig, die Reifen gleiten über die Schwellen. An der Einfahrt wartet sie, bis sie sieht, dass alles frei ist, dann fährt sie in ihrem eigenen Tempo in die Bodensenke hinunter und die Steigung hinauf. Sie parkt den Wagen so nah am Rand wie möglich, zwei Räder in
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