Halloween
entlangrollen und bei unserem Haus vorbeifahren. Es hat etwas Illegales, wie Brooks mit seiner Pistole. Alle anderen fahren zur Arbeit und tun was Konstruktives; Tim ist bloß da draußen und fährt durch die Gegend, keine Zukunft, über die er sich Gedanken machen müsste. Die Welt ist einfach und belanglos, wie die Zahlen auf einer Uhr. Er hält am Fuß unserer Einfahrt und zählt die Sekunden, so lange, wie ich zum Einsteigen gebraucht habe, denn Toe hat sich wie ein Arsch benommen und, als ich die Hand nach dem Türgriff ausstreckte, so getan, als würde er losfahren.
(Ich hab in meiner Jeansjacke gewartet und meiner Mom gesagt – zum Haus zurückgebrüllt –, dass ich keinen Mantel brauche.
Und wo sind meine Eltern? Warum folgen wir ihnen nicht? Warum kauen wir nicht auf jedem köstlichen Häppchen ihrer Trauer rum?
Weil ich die Geschichte erzähle, kapiert? Du glaubst nicht, dass es hart genug ist, bloß hier zu sein? Wir alle sind in dieser Geschichte Scrooge, wir alle sind Mr. Magoo.)
Tim gibt mir eine Minute, und dann fahren wir zu Kyle, unserem letzten Stopp.
Worüber haben wir geredet? Brooks hat das nicht in seinem Bericht stehen. In der Schule ging das Gerücht, dass Amy Rubin mit Mr. Bailey, unserem Turnlehrer, schlief (es stimmte auch, das war so ziemlich das Erste, was wir bei unserer Rückkehr erfuhren). Wir haben Witze darüber gerissen, haben derbe Vermutungen angestellt über die Liebesbriefe, die sie sich zugesteckt haben, über ihre Verstecke, darüber, wie sie das Ganze arrangiert haben. Mr. Bailey war klein und verwendete zu viel Schaumfestiger. Wirwaren empört und eifersüchtig und ließen unseren schmutzigsten Phantasien freien Lauf. Matten und Turngeräte, der Schreibtisch in seinem Büro, die Schürfwunden, die man sich auf dem mit Schellack behandelten Basketballfeld zuzog.
(Marco, schimpft Danielle, aber auch sie kennt Amy Rubin – hochnäsig, zu gut für uns. Am Tag danach, in der Cafeteria, lachte sie. «O Mann», sagte sie, «ich dachte, es wär jemand Wichtiges.»)
Es war ein ganz normaler Tag. Uns war egal, dass Halloween war, für eine Party brauchten wir keinen Vorwand. Toe hatte Rancid voll aufgedreht und ruckte wie wild mit dem Kopf über dem Lenkrad, während wir den Oxbow Drive entlangfuhren. Tim saß auf dem Beifahrersitz, denn er war als Erster eingestiegen; später saß ich dort, und er denkt daran, als wäre es seine Schuld. Keiner von uns war angeschnallt, aber jetzt ist er vorsichtig und hat seinen Gurt angelegt. Draußen hat sich nichts verändert – die Rasenflächen und Häuser, die Einfahrten und Steingärten sehen noch genauso aus. Nichts regt sich. Das einzige Anzeichen von Leben sind die Vögel, und er muss nach ihnen Ausschau halten. Alle könnten tot sein, die Erde verlassen. Das wäre völlig daneben, denkt er – wenn er der letzte Mensch auf der Welt wäre. Aber so ist es ja schon.
Ein alter Knacker mit Hut fährt in einem Cadillac an der Ecke Surrey Lane vorbei und zerstört die Illusion. Tim überquert die Country Club Road und schlängelt sich wieder durch das Labyrinth, von der Stagecoach Road zum Indian Pipe Trail. Am Wochenende haben sich im Rinnstein Blätter angesammelt, die darauf warten, dass die Stadtreinigung sie aufsaugt. Er hält vor Kyles Briefkasten. Das Gras ist ungewöhnlich grün, chemisch aufgepäppelt. Die kahlen Bäume sehen aus wie Hände, die sich aus dem Boden strecken, und er fühlt sich wie bekifft, abgeschirmt von draußen durch die geschlossenen Fenster und die Mechanik unter seinen Füßen, die ineinander greifenden Gänge und die Lenkung.Er wartet darauf, dass ein imaginärer Kyle mit hochgezogenen Schultern die Einfahrt entlangkommt, die Fäuste in den Taschen, der Gürtel seiner Lederjacke lose herabhängend (und wie aufs Stichwort kommt plötzlich der echte Kyle, der wie Tim jenen Tag nochmal wiederholt. Er tätschelt die Haube, und der Motor stottert. Er klappt den Sitz nach vorn, als könnte er nicht sehen, dass Danielle dort sitzt, steigt ein und setzt sich mitten auf Toes Schoß.
Los, runter mit dir, sagt Toe, aber Kyle streckt den Kopf zwischen den Sitzen durch und spricht mit Tim, seine Lippen bewegen sich, aber es kommt kein Ton hervor. (Was hat er an jenem Tag gesagt? Nichts Bedeutendes. Ist es heute dasselbe?)
Kyle, Mann, sagt Toe, als könnte er ihn wecken. Kyle!
Kyle redet weiter. Für ihn sind wir genauso wenig hier, wie wir für Tim existieren, als befänden wir uns in unterschiedlichen
Weitere Kostenlose Bücher