Halloween
Später werden die Ruheständler unterwegs sein und im Unterholz nach ihren Bällen suchen, aber jetzt ist es noch zu früh, zu kalt, das Gras von fichtenblauem Raureif bedeckt. Während sie den langen Anstieg zum achtzehnten Grün und dem umgebauten Clubhaus hinauffährt, kommt sie zur Rechten an einer Stelle vorbei, an der sich Brooks manchmal versteckt, wo das Gras niedergewalzt ist, nackter, von Reifenspuren zerfurchter Schlamm. Mark hat sie morgens immer gewarnt, da er denselbenWeg kam; es war ein Scherz, ein Spiel, der Polizei zu entwischen wie Jugendliche.
(Wie wir, bloß dass wir nicht entwischt sind. Uns stand ein bescheuerter Baum im Weg.
Hör auf, Marco, sagt Danielle. Hör einfach auf. Es war nicht Toes Schuld.
Das hab ich doch gar nicht behauptet, sage ich. Und Toe ist völlig trübsinnig, man sieht, dass er es ihretwegen hochspielt.)
Das lange Flachstück auf dem Hügel ist einfach, denn ihre Gedanken finden keine Nahrung – Mülltüten mit aufgedruckten Kürbislaternen, voll gestopft mit Blättern, schwarzorange Luftschlangen, um eine Kutschenlampe geschlungen, ein kümmerlicher Wunschbrunnen, ein abgedecktes Kinderschwimmbecken –, aber als sie die andere Seite hinunterfährt, bremst sie wegen der Kurve vor dem Radweg, und dann kommt der Telefonmast, gegen den die beiden Mädchen aus Simsbury geprallt sind. (Sie schimmern am Straßenrand auf, unsere nächsten Nachbarn, Schulter an Schulter wie die Zwillinge in
Shining
– kaum noch zu sehen, als würde ihr Signal schwächer werden.) Sie denkt, dass es grausam ist; es ist noch keine fünf Jahre her, und sie kann sich nicht mehr an ihre Namen erinnern. Jeden Tag werden es mehr; jede Kleinstadt in Connecticut verliert jedes Jahr ein paar Jugendliche, in jeder Abschlussklasse fehlt jemand. So schwer ihr das Eingeständnis fällt, es zuzugeben, in Wahrheit ist ihr Schicksal nicht einzigartig. Und das von Kyle auch nicht. Das sollte ein Trost sein.
Über den Radweg und den steilen Berg hinunter, bremsen, bis zum Stoppschild vor der T-förmigen Kreuzung an der Old Farms Road. Ein ausgebleichtes Plakat an dem Mast neben ihr wirbt für ein Feuerwehrfest vom August. Wenn sie links abbiegen würde, käme sie in die verkehrsreiche Innenstadt, wo das Mailboxes gerade seine Tore öffnet und es auf der Rückseite des Postamts nach Kaffee riecht. Auf der anderen Seite der Kreuzung bauen sie rings um einen Teich eine neue Siedlung, die Sperrholzrohbautenbereits errichtet, die Ziegel bündelweise auf den Dächern gruppiert. Sie braucht sich nicht zu entscheiden. Sie blinkt (für wen?) und folgt uns zwischen den zerfallenen Säulen hindurch in den Wald.
Es
ist
eine gefährliche Straße, lauter Haarnadelkurven und kein Seitenstreifen, Bäume, die zu beiden Seiten auf die Fahrbahn ragen, schlechte Sicht. Bei den gefährlichsten Stämmen sind in Hüfthöhe Reflektoren angebracht. Irgendjemand hat den springenden Bock auf dem Wildwechsel-Schild mit Flügeln ausgestattet – ein Pegasus –, und jemand anders hat ihm einen steifen Penis verpasst. Denn so etwas tun Jugendliche, sie albern herum und finden alles zum Totlachen. Sie rechnen nicht damit, dass ein Hirsch durch die Windschutzscheibe kracht, so etwas passiert bloß Losern.
(Und glaub ja nicht, wir würden ihr nach dieser kleinen Lektion nicht gern einen vor den Wagen scheuchen.
Oder wie wär’s mit einem Hund, sagt Toe und muss sich dann mit Danielle auseinander setzen, die ihre beiden vermisst.)
Wie alle anderen fragt sich Kyles Mom, woran wir in den letzten Minuten gedacht haben, bestimmt waren wir unachtsam, ein Haufen dummer Jugendlicher, die überrascht wurden. Wem wäre das nicht passiert? Wenigstens weiß sie, dass Toe nicht betrunken war. Es ist nur ein kleiner Trost, zu wissen, dass wir bloß zu schnell gefahren sind. Lange konnte sie kaum glauben, dass es so einfach war, aber jetzt, wo sie sich durch die Kurven schlängelt, sieht sie, wie leicht man die Herrschaft über den Wagen verlieren kann, wie schmal die Straße ist, wie wenig Spielraum für einen Fehler bleibt. Jeder Baum kann ein Mörder sein.
Warum lässt die Stadt sie nicht zurückschneiden? Warum gibt es keine Leitplanken? Warum gibt es keine Lampen?
Sie kennt die Antworten, lässt sie aber nicht gelten. Letztendlich liegt alles nur am Geld.
Am meisten tun ihr die Eltern von Chris Leid. Sie hat ihneneinen Kondolenzbrief geschickt; hoffentlich wissen sie, dass ihnen niemand einen Vorwurf macht. (Weshalb denn?
Meinetwegen, sagt
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