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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Schule steht kantig, mit Fenstern wie Schießscharten, in einem Labyrinth aus Maschendrahtzäunen und sieht aus wie eine Fabrik, ein Backsteingefängnis. Mitten auf dem kreisförmigen Platz vor der Eingangstür flattern an hohen Masten zwei Fahnen. Die Busse sind weg, der Parkplatz voll, selbst auf den erhöhten Trennflächen am Ende sind Geländewagen abgestellt. Auf der Suche nach einem Parkplatz muss er zur Rückseite fahren, genau wie Toe damals, aber der, den er findet, liegt näher am Wald als am Baseballfeld. Nichts wird genauso ablaufen, denkt er, macht sich im Stillen aber dennoch Vorwürfe.
    Er ist ziemlich spät dran und greift durch Danielle hindurch nach seinem Rucksack, zögert dann, und die grauen Bäume, eingerahmt von der Windschutzscheibe, senden ihm eine Botschaft. Bestimmte Ausschnitte der Welt – oder sind es Visionen? – habenimmer noch eine anrührende Dichte. Er hat gedacht, der schwerste Teil des Tages wäre der Abschied von seinen Eltern, aber jetzt sieht er, dass es mit jedem Schritt schwerer wird. Er hat keine Lust, sich mit Menschen auseinander zu setzen. Der Plan kommt ihm dumm, unnötig vor. Er könnte sofort zu dem Baum fahren. Es ist Halloween, das ist alles, was zählt.
    Zugleich will er die Versprechen einlösen, die er uns (nein, Danielle – eigentlich sich selbst) gegeben hat. Wozu die Eile? Er hat fünf Monate so verbracht, hat Interesse geheuchelt; jetzt, wo der Tag endlich gekommen ist, sollte er sich entspannen und ihn genießen, denn sein geheimes Wissen erhebt ihn über alles andere. Und das wird er auch tun; es wird so sein, als würde er bekifft in den Unterricht gehen. Und außerdem ist er wie wir. Er will alles ein letztes Mal sehen.
    Damals blieb Kyle zurück. Er sagte, er sei mit jemandem verabredet (das hieß, er musste Gras verkaufen), ging in den Wald am Außenfeldzaun und folgte dem Pfad, der dort entlanglief. Das tut er auch jetzt, wahrscheinlich um bei Mrs. M.’s Tankstelle was abzuliefern. (Sein Dad hat den Rest seiner Grasvorräte entdeckt und in den Müll geworfen, bevor seine Mom sehen konnte, wie viel Stoff er noch hatte.) Also wissen wir, dass er dasselbe vorhat wie Tim, dass er den Tag nochmal durchspielt. Es ist fast eine Erleichterung; dadurch gewinnen wir ein bisschen Zeit (als würde Zeit eine Rolle spielen).
    Es wäre gut, wenn jemand auf Kyle achten könnte, aber wir gehen alle mit Tim um das Gebäude herum, sind sein Gefolge. Jamie Weeks kommt in seinem Blazer über den Parkplatz gefahren, und sofort fliegen wir über die geparkten Wagen hinweg und schlüpfen in ihn hinein, wechseln den Blickwinkel wie bei einem abrupten Schnitt und beobachten Tim, während wir vorbeigleiten – und dann springen wir zurück, gehören wieder Tim.
    Drinnen ist es genauso; jeder, der Tim sieht, ruft uns zu sich. Nur die neuen Schüler wissen noch nichts, aber auch ein paarvon ihnen holen uns zu sich, so berühmt sind wir. Die Flure haben sich nicht verändert, die Eingangshalle mit ihren von hinten beleuchteten Vitrinen voll kläglicher Schülerkunstwerke, aber es ist Tim, der zur Schau steht, ein gebrandmarkter Mitschüler. Von ihren Spinden aus beobachten ihn die Schüler. Das ist kein Verfolgungswahn, sie starren ihn wirklich mit Röntgenaugen an, inspizieren die Narben auf seinem Herzen. So ist es schon seit dem Unfall. Normalerweise ärgert sich Tim und wehrt sich dagegen, egal, was es ist – Mitleid? Angst? Unangebrachter Neid? –, aber heute verspürt er eine boshafte Genugtuung, denn er weiß, dieser Moment wird ihnen bleiben, noch Jahre später werden sie sein Gesicht sehen und sich Gedanken machen, Vermutungen anstellen, aber sie werden nichts wissen. Das ist seine Rache, unerwartet und süß, sie macht alle gleich und brennt die Schule bis auf die Grundmauern nieder.
    (Denn er begreift immer noch nicht, dass die Welt sich weiterdreht, dass das Gebäude auch morgen, im Winter und im Frühling, am Ende des Schuljahrs, im nächsten und im übernächsten Jahr noch da sein wird. Er erwartet, dass alles zusammen mit ihm verschwindet.)
    Das erste Klingeln ist schon vorbei, denn das Klingeln zum Unterrichtsbeginn – ein einzelnes, lang anhaltendes
Bing
, wie bei der Ankunft eines Flugzeugs – fegt die Flure leer. Alle knallen ihre Spinde zu und rennen los. Sein Timing ist gut; er braucht eine Bescheinigung, weil er zu spät kommt, und muss den Mut aufbringen, ins Büro zu gehen.
    Im Vergleich zum Flur ist es dort ruhig, die Fächer der Lehrer voll Post. Im

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