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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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was wäre, wenn er bei einem Erdbeben oder nach einem Atomkrieg im Laden eingeschlossen wäre? Wie lange könnten die Übriggebliebenen überleben? Wenn er Erdnussbutter oder gebackene Bohnen auspackte, entschied er, wie sie ihre Reserven am besten einteilen, wo sie ihr Lager aufschlagen und wie sie die Türen gegen Plünderer verteidigen würden, und spielte alles durch wie in einem Film. Das war vorher. Wenn er jetzt die Regale in Ordnung bringt, fragt er sich, wie lange er schon weg sein wird, wenn irgendeine Mom diese Dose schließlich aus dem Schrank holt und den Inhalt ihren Kindern vorsetzt.
    «Warum macht ihr nicht mal Pause», sagt Darryl, als er vorbeikommt. Kyle muss erst seine Reihe zu Ende bringen, und dann gehen die beiden nach vorn, damit Kyle sich einen Schokoriegel aussuchen kann. Es ist albern, an Halloween dafür zu bezahlen, aber Tim greift in die rechte Tasche (das Geld, das den Unfall überlebt hat – heilig, unberührbar), bezahlt mit Vierteldollarmünzen und reicht Kyle sein Nutrageous.
    «Danke, Tim.»
    «Nichts zu danken, Kyle», sagt Tim, eine Prozedur, über die Luisa, die Kassiererin, lächelt.
    Sie gehen ganz nach hinten, verschwinden durch die Plastikvorhänge in die Fleischabteilung und gehen dann einen Flur entlang, in dem Paletten mit drei Lagen Kartons stehen und der Gabelstapler über Nacht geparkt ist. Zwischen den beiden Garagenrolltoren der Laderampe gibt es eine normale Tür, die von einem Milchkasten offen gehalten wird.
    Draußen ist es kühl und nieselt. Sie stellen sich in den Schattenvor einem der beiden großen Tore, um trocken zu bleiben. Von dem gerippten Müllcontainer, lang wie ein Güterwagen (in dem angeblich mal ein Betrunkener, der nach leeren Dosen gesucht hat, zermalmt wurde), steigt der Gestank von saurer Milch und verfaultem Gemüse auf. Tim holt sein schwarzes Feuerzeug raus, steckt sich eine Marlboro an und bläst den Rauch in die feinen Tropfen. Kyle mampft sein Nutrageous. Der Parkplatz ist leer, beherrscht von einer hohen Laterne wie die vor dem Laden, eine schwache Sonne an einem Mast. Die Angestellten sollen hier hinten parken, aber keiner hält sich dran; die Lastwagenfahrer sind durchgedrehte Typen, und die Leute benutzen den Parkplatz als Abkürzung von der anderen Seite des Einkaufszentrums und brausen mit achtzig durch. (Appell. Wir sind alle da: der echte Kyle, ich, Danielle und Toe, alle in der Öffnung des Garagentors zusammengedrängt. Wir sind wie eine Crew, die einen Film dreht, wir folgen den Stars auf Schritt und Tritt.)
    «Rauchen schadet deiner Gesundheit», sagt Kyle zum tausendsten Mal.
    «Ich weiß», sagt Tim. «Ich hör bald auf.»
    «Versprochen?»
    «Versprochen.»
    Aber was verspricht er ihm?
    Er hat sich diese Nacht schon ganz lange versprochen; jetzt, wo sie da ist, kommt ihm alles leer vor, als würde er immer noch vorgebeugt dastehen und warten, als hätte er den Grund für all das vergessen. Aber das stimmt nicht. Der Grund ist die ganze Zeit bei ihm, wie seine Haut ein Teil von ihm. Um das eine loszuwerden, muss man auch das andere loswerden. Die Entscheidung ist nicht das Problem – er ist die Gründe monatelang durchgegangen, hauptsächlich, wie er sich fühlt, und die Antwort war immer, ausnahmslos dieselbe –, daran festzuhalten, stark genug an sich zu glauben ist das Problem. Er muss Vertrauen haben.
    (Tu’s nicht, sagt Danielle, die Hand auf seiner Schulter. Es ist ein Fehler. Es war ein Unfall.
    Und wir halten sie nicht davon ab, sagen ihr nicht, dass sie sich idiotisch benimmt, die klammernde Freundin. Sie weiß das. Es ist ein Jahr her; wir alle sind bei ihm irgendwann auf das Offensichtliche zurückgekommen, die albernen Plattheiten – das Leben ist besser als der Tod. Manchmal ist es schwer, zuzusehen, auch wenn man nichts tun kann. Frag mal Kyles Mom danach.
    Und dann ist der echte Kyle drüben in der Ecke, in schwarzer Jeans, T-Shirt und Doc Martens, seinen Harley-Geldbeutel an der Kette, er sieht knallhart aus und sagt kein Wort, genau wie im wirklichen Leben. Leute, die ihn nicht kannten, fanden ihn unheimlich, und vielleicht haben wir deshalb jetzt Angst vor ihm – wir wissen nicht, was er vorhat.)
    Ein Wagen, den Tim nicht kennt, fährt vorbei, holpert durch die Pfützen, und das Scheinwerferlicht gleitet durch den Zaun am anderen Ende und verfängt sich in den kahlen Zweigen der Bäume. Er und Kyle stehen da wie wir, als der Wagen vorbeispritzt, unsichtbar und das Gefühl genießend (und manchmal

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