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Halloween

Halloween

Titel: Halloween Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stewart O'Nan
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Sunoco-Tankstelle durch. Kurz darauf ist er verschwunden, und der Verkehr fließt wieder.
    Anscheinend begreifen nicht alle Fahrer, dass die Straße gesperrt ist. Sie lassen die Scheibe runter und wollen wissen, warum – ein Typ in einem Löwenkostüm. Brooks klammert sich an seinen letzten Rest Geduld, bemüht sich, höflich zu sein (sich nicht wegen Mitternacht aufzuregen). «Unfall», sagt er und staunt, dass ein einziges Wort so viel Macht haben kann. Er hütet sich, zu intensiv nachzudenken, aus Angst, dass er bei uns hängen bleibt (Gram, dem Haus, dem Untersuchungsausschuss). Er steht in seiner gelben Jacke im Regen, weist die Leute ab, gibt ihnen das Zeichen, nicht anzuhalten, los, weiterfahren, nicht stehen bleiben.
     
    «Du siehst hübsch aus», sagt Kyles Dad in der Dunkelheit des Wagens, den Blick auf die Straße gerichtet. Das ist sein Allzweckkompliment, jedes Mal hervorgekramt, wenn sie sich schön anzieht, und obwohl er es sagt, ohne sie anzuschauen, macht sie ihm keinen Vorwurf. Sie hat sich heute Abend viel Mühe gegeben, bis hin zu ihrer besten Unterwäsche (Bravo, Kyles Mom!), und sie hat jedes Kompliment verdient.
    «Du auch.»
    «Und wo ist das Restaurant?», fragt er.
    «Direkt in Farmington, gleich hinter dem Fluss. Der Advocate hat ihm drei Sterne verliehen.»
    Und es ist neu, das sollte als Grund genügen. Trotzdem hatsie Angst, dass ihre Strategie zu durchsichtig ist – ein Restaurant außerhalb der Stadt, wo sie noch nie waren, als könnten sie ihrer Vergangenheit entfliehen. Sogar hier, direkt vor ihrem Fenster, fällt ihr beim Anblick des Neonschilds von dem Chinesen gegenüber der Driving Range ein, wie die Kinder um das letzte frittierte Käsebällchen wetteiferten, wie sie mit ihren Gabeln einen Schwertkampf austrugen und Kelly schließlich nachgab, weil Kyle der Jüngere war. Es scheint so weit zurückzuliegen, dass es vielleicht gar nicht passiert ist, eine falsche Erinnerung, an die sie glauben muss – wie ihre glückliche Familie sich ein normales Essen schmecken lässt. Das wünscht sie sich nicht zurück, es muss kein Wunder sein, nur mal ausgehen, ein paar Stunden weg von zu Hause, zur Abwechslung mal ein Gespräch unter Erwachsenen und jemand, der an ihrer Stelle kocht.
    Es ist schön, nicht fahren zu müssen, Dinge sehen zu können, die ihr entgehen, wenn sie allein hier entlangfährt. Auf ihrer Seite ist die Straße ein einziges Volksfest, der neue Spirituosenladen neben dem Pizza King macht ein Riesengeschäft; auf der anderen Seite liegt die Dunkelheit wie ein See über dem Golfplatz. Sie betrachtet sein Gesicht, sein mondhelles Profil im Scheinwerferlicht des Gegenverkehrs, seine Geheimratsecken, und sie denkt, dass er noch immer der Mann ist, den sie geheiratet hat. Er tut das nur ihretwegen. Er wäre lieber in Jeans und Flanellhemd zu Hause und würde seine E-Mails durchsehen oder träge vor dem Fernseher liegen.
    «Danke, dass du mitgekommen bist», sagt sie.
    «Ich hab dich doch eingeladen.»
    «Eigentlich schon.»
    «Stimmt nicht», sagt er im Scherz und sieht sie an, damit sie zugeben muss, dass es seine Idee war, zumindest teilweise. Sie hatten beide dieselbe Idee, jeder für sich, und sie ist froh. Sie legt ihm die Hand aufs Bein, und er legt seine obendrauf.
    Sie überqueren den Fluss – der schwarz und mächtig unterihnen dahinströmt –, und er fährt einen Bogen, um dem eingesunkenen Kanaldeckel auf der rechten Spur auszuweichen. «Gut», sagt sie. «Den erwische ich jedes Mal.»
    Sie lässt einen blauen Krankenhauspfeil kommentarlos vorbeigleiten und hofft, dass er ihn nicht bemerkt. «Es ist hier auf der rechten Seite», sagt sie und deutet an den Erkerfenstern in den Kolonialstilfassaden des Muffinladens und des Immobilienbüros vorbei – und da ist auch schon das hüfthohe Schild für das Restaurant und die Einfahrt. Sie nimmt die Hand weg, damit er herunterschalten kann.
    Der hell erleuchtete Parkplatz hinter dem Gebäude ist voll, eine Überraschung, die ihnen Gesprächsstoff bietet, während sie hineingehen. Der Regen hat nachgelassen, aus den Abflussrohren tröpfelt es nur noch. Er hält ihr mit gespielter Förmlichkeit die Tür auf, und sie bedankt sich auf dieselbe Art, ein Varietéduo.
    Drinnen ist es warm, laut von den Gesprächen, überall Hartholzboden und schwarze Tische und zarte Halogenlampen an Drähten. «Schickimicki», flüstert er, und sein Atem kitzelt sie am Ohr. In der offenen Küche hinten sieht und hört man das geschäftige

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