Halo - Tochter der Freiheit
Morgendämmerung hereinbrach, fiel sie in einen unruhigen Schlaf, der sie einfach überwältigt hatte, als ihre Haut bereits vor Übermüdung kribbelte. Sie hörte Leonidas stöhnen und murmeln, hörte, dass er nicht schlafen konnte, aber auch nicht wach bleiben konnte. Benommen stolperte sie zum Brunnen und brachte ihm noch mehr Wasser. Sie musste ihm etwas zu essen geben. Und sie musste selbst etwas essen, obwohl sie keinen Hunger verspürte.
Er stank grauenhaft. Auf seinem Nacken traten Pestbeulen hervor. Sie sollte ihn waschen, aber sie hatte weder Seife noch saubere Tücher noch Kräuter. Sie hatte nichts.
Wird er sterben, wie alle anderen?
Wieder brachte sie Wasser. Fast wie von selbst begann sie sich die Namen aller Verstorbenen in Erinnerung zu rufen, die sie vergeblich gepflegt hatte. Nein! Aufhören!
Draußen dämmerte ein schöner Tag, der zwar heiß werden würde, aber doch schon im wunderbaren Goldlicht des frühen Herbstes leuchtete. Doch im düsteren Winkel der Ruine stank es nach Pest und Tod.
Aber das wird mich nicht umbringen , dachte sie. Dieser Ausweg ist nicht für mich bestimmt. Ich muss und werde überleben.
Leonidas rollte sich auf die andere Seite. Auf seinen Lippen brachen die eingetrockneten Blutkrusten auf, als er in seinem halb bewusstlosen Zustand etwas sagen wollte.
»Hilf mir«, krächzte er. »Ich will nicht sterben.«
»Dann stirb nicht«, sagte sie hart. Sie packte ihn an den Schultern und beugte sich über ihn. »Stirb nicht! Nicht alle sterben daran! Ich bin auch nicht gestorben! Du kannst es überleben!«
Er stöhnte wieder, Schmerzen und Durst überwältigten ihn, und er rieb und kratzte an seiner Haut, als wolle er sie sich vom Leib reißen. Sie beobachtete ihn aufmerksam. Sie wusste genau, wie er sich fühlte; schließlich sprang sie auf und trat vor das Haus. Essen. Er musste essen. Saure Trauben, halb vertrocknete Feigen, Mandeln vom letzten Jahr, ein paar Pflaumen, klein, schwarz und verschrumpelt. Sie fand sogar einen Sack mit einem Rest sehr altem Hafer, den sie in Wasser einweichen konnte. Der Haferbrei würde ihnen ein paar Tage lang ausreichen müssen. Sie konnte es nicht wagen, ein Feuer zu machen.
Genau wie früher , dachte sie. Wie gut, dass er Spartaner ist – die sind doch dazu erzogen, fast ohne Essen auszukommen, oder nicht? Das kam ihr wie ein Witz vor, und sie musste lachen. Aber was mache ich jetzt? Soll ich einfach weiter hier hocken bleiben und abwarten?
Ja – du hast keine andere Wahl.
Leonidas starb nicht an diesem zehnten Tag. Dann wird er wohl am elften Tag sterben , dachte sie. Sie gewöhnte sich eine Art Routine an. Sie brachte ihm Wasser, putzte das Erbrochene weg, tauschte das besudelte Strohlager aus, wusch sein Gesicht, kühlte ihm die Stirn, versuchte vergeblich, seinen Durst zu stillen und verscheuchte die Fliegen, die sich auf seinen Augen und um den Mund niederließen. Sie saß an seiner Seite, so lange sie es ertragen konnte, redete ihm gut zu, hielt seine Hand, beobachtete seine Schmerzen, als ob ihm all das wirklich helfen würde.
Und wenn es schließlich unerträglich wurde, lief sie hinaus in den Hof und rannte im Kreis herum – am liebsten hätte sie laut geschrien, aber sie hatte Angst, sie zu verraten.
Ivy beobachtete sie freundlich, und Halo lief oft zu ihr und tätschelte ihr den Hals, strich ihr über die Nase oder legte den Kopf an ihre Stirn und weinte – aus Sehnsucht nach ihrer Zentaurenmutter, aus Sehnsucht nach irgendeinem Menschen, der ihr Kraft geben würde, das hier durchzustehen. Sobald es ihr ein bisschen besser ging, stellte sie den Eimer mit Wasser vor Ivy, pflückte ein paar Früchte und suchte die Umgebung ab, um etwas Essbares zu finden. Am Ende ging sie in das düstere, stinkende Haus zurück, um erneut zu versuchen, Leonidas ein wenig Nahrung durch die Kehle zu zwingen.
Danach wusch sie ihn, und der ganze Kreislauf begann von vorn.
Nun saß sie neben ihm, hielt seine Hand und überlegte, ob es einen Sinn hatte, alle Kraft zusammenzunehmen und weiterzuziehen, denn früher oder später würden die Skythen sie finden, wenn sie am selben Ort blieb – und im selben Augenblick hörte sie das dumpfe Trommeln galoppierender Pferde auf dem Feldweg draußen.
Sie erstarrte.
Reitet vorbei, betete sie.
Das Geräusch verstummte. Gebrüllte Befehle. Waffen klirrten metallisch.
Soldaten also.
Ihr Herz hatte einen Moment lang ausgesetzt. Sie sprang auf.
Athener? Skythen? Spartaner? Gütige Athena, welche
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