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Halo - Tochter der Freiheit

Titel: Halo - Tochter der Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zizou Corder
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mit dem Oberkörper an eine Wand und schob ihm das lange Haar aus dem Gesicht. Aber die glühenden roten, haltlos rollenden Augen und den blutverschmierten Mund wollte sie nicht sehen. Sie kannte ihn nur als starken Jungen. Benimm dich wie ein Arzt , mahnte sie sich selbst, und das half ihr, ihm den Mund zu säubern und ihm etwas Wasser einzuflößen. Schließlich zog sie ihm die Lederstiefel aus, löste den Gürtel und legte die Waffen beiseite. Dann bettete sie ihn in das Stroh und versuchte es ihm so bequem wie möglich zu machen. Vom Pferd und ins Haus gezerrt zu werden hatte ihn aufgerüttelt, sodass er nun halb bei Bewusstsein war. Sie deckte ihn mit seinem Umhang zu.
    Schließlich überwand sie sich und betrachtete ihn genauer. Oh, ihr Götter. Er wirkte viel älter – sein Kinn war mit Stoppeln bedeckt, und die Wangen waren eingefallen. Er sah furchtbar krank aus. Auch die Schläfen schienen wie eingedrückt, die Haut war schweißnass und wächsern, die Lippen weiß und ständig in Bewegung, obwohl kein Laut von ihm kam, zumal ihm ständig Blut aus dem Mund quoll. Aber er sah trotzdem noch ein wenig wie er selbst aus. Etwas an ihm erinnerte sie an den lustigen, verwirrenden Jungen, den sie früher gekannt hatte. Der erste Mensch, den sie richtig kennengelernt hatte. Wie lange das alles her war! Delphi, Sparta, das Taygetos-Gebirge, sogar Zakynthos – das alles erschien ihr nur noch wie ein Traum.
    Hier, im Dunkeln, wie sie nun Leonidas im schwachen Sternenlicht betrachtete, wurde ihr allmählich bewusst, wie verrückt das war, was sie hier tat. Sie hatte ihre besten Freunde, die Skythen, getäuscht. Sie half einem feindlichen Soldaten. Sie hatte einen feindlichen Spion weggeschafft und damit verhindert, dass er verhört werden konnte. Sie war aus ihrem geliebten Athen geflohen. Jede einzelne dieser Taten war ein Verbrechen, war Verrat – und obendrein wusste nicht einmal Arko, wo sie sich befand. Dennoch. Trotz allem und sogar trotz Leonidas’ Krankheit war sie froh und dankbar, dass er hier neben ihr lag.
    An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Halo legte sich neben Leonidas auf das stachelige Stroh, aber gerade in dem Augenblick, in dem sie allmählich in den Schlaf glitt, wurde er ruhelos und schlug um sich. Seine Brust hob und senkte sich heftig, als er nach Luft rang. Er war durstig. Sie gab ihm Wasser aus ihrer Lederflasche, aber natürlich reichte es ihm nicht. Dieses Stadium kannte sie längst – schließlich hatte sie es nicht nur oft genug beobachtet, sondern selbst erlebt. Der unstillbare, unerträgliche Durst hatte die Kranken buchstäblich zum Wahnsinn getrieben, sodass sie von ihrem Krankenlager aufgesprungen waren und sich in Flüsse oder Seen oder Fässer und Tröge gestürzt hatten, in alles, was Wasser enthielt.
    Sie lief in den Hof, holte mit dem halb verrotteten Eimer Wasser aus dem Brunnen und füllte ihre Flasche immer wieder. Sie goss es über ihn, sie flößte es ihm ein. Und immer wollte er mehr. Und sie gab ihm immer mehr.
    Soweit sie es beurteilen konnte, war seine Krankheit sechs oder sieben Tage alt. Wenn er die nächsten vierundzwanzig Stunden überlebte, hatte er eine Chance.
    Mein Waffenbruder auf meiner linken Seite , dachte sie. Ich werde für dich kämpfen. Ihr Götter, verlasst uns jetzt nicht! Bitte, verlasst uns nicht! Asklepios, wenn ich je dein Wohlgefallen erregt habe … Apollon, Athena, bitte …
    Leonidas schrie auf. Wortfetzen kamen aus seinem blutenden, wunden Mund. Er rief nach Melesippos, dann andere Namen. Er rief nach Archidamos, bat ihn um Verzeihung, falls er ihn enttäuscht habe. Dann rief er nach seiner Mutter, seinem Vater, und er schrie und schrie vor Schmerzen und vor Wahnsinn.
    Halo hatte viele Menschen durch die Pest gepflegt. Sie hatte viele Menschen sterben sehen. Sie hatte gelernt, ihr Herz gegen all dieses Leiden zu verschließen, damit ihre eigenen Tränen und ihr Mitgefühl sie nicht daran hinderten, die Patienten zu waschen, ihr Bettzeug zu wechseln, ihnen Wasser einzuflößen. Sie hatte gelernt, selbst auf die Leidensschreie nicht zu achten, die jedem Menschen das Herz brechen würden. Sie hatte sich sogar den Ruf erworben, ein harter Mensch zu sei, doch ihr Verhalten konnten nur Leute verstehen, die selbst die Pest überlebt hatten. Nur sie wussten, dass Weinen sinnlos war.
    Doch als sie jetzt, in der Ruine des Bauernhofs, in der verzweifelten, langen Dunkelheit dieser Herbstnacht, Wasser über Leonidas goss, weinte sie.
    Als die

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