Halo - Tochter der Freiheit
stützte sich schwer auf sie.
»Danke, Halo«, flüsterte er.
Er erkennt mich!
In Phaedippias’ Gesicht spiegelten sich Schmerz und Trauer. Ja, so grausam ist die Pest. So fühlt sie sich an, dachte Halo. Die jungen Spartaner taten ihr leid … Tränen traten ihr in die Augen. Sosehr sie es auch verbergen wollte, sie hatte sich immer noch nicht daran gewöhnt. Sie würde sich nie daran gewöhnen.
Phaedippias starrte abwechselnd Leonidas und Halo an. Auf seinem Gesicht lag ein seltsamer Ausdruck – so sah ein Spartaner aus, der nicht wusste, was er tun sollte, und nun auf einen Befehl wartete.
»Geh«, sagte Leonidas. »Bring meiner Mutter meinen letzten Gruß. Und lasst uns das Pferd hier.«
»Wir kommen zurück und holen dich«, sagte Phaedippias. Die Unsicherheit war verflogen; er hatte sich wieder im Griff und traf seine Entscheidungen. »Wir werden dich nicht einfach hier liegen lassen, sondern dich ehrenvoll beerdigen.«
»Gebt mir eine oder zwei Wochen«, murmelte Leonidas. Ein unheimliches Lächeln spannte die Haut über seinen Wangenknochen.
Die Spartaner ritten davon.
Halo stützte Leonidas, bis er wieder auf sein Strohlager sank. Sein Atem kam abgehackt und pfeifend, neue Flecken waren auf seinen Armen und seinem Bauch erschienen. Sie sehnte sich danach, ihn in die Arme zu nehmen und ihm sagen zu können, dass alles wieder gut werden würde.
»Du musst nicht sterben«, flüsterte sie.
Aber er lag schon wieder in den Armen der Pest. Er hörte sie nicht einmal mehr.
Sie. So hatten die Spartaner gesagt: Was ist los mit ihr? – Sie ist wahnsinnig, glaube ich.
Sie hatte nicht mehr darauf geachtet und sich nicht mehr die Mühe gemacht, die Brüste unter dem Chiton zu umwickeln. Das musste sie sofort tun! Was, wenn die Skythen kämen?
Wieder begann die Routine.
Halo war zu traurig und zu verzweifelt, um an ihre Aufzeichnungen zu denken. Warum denn auch? Sie wusste längst, was diese Krankheit den Menschen antat. Die Zeit verging mit Stöhnen und wildem Toben, entsetzlichem Gestank und Eiter. Sie lag neben Leonidas, konnte noch immer kaum schlafen und war inzwischen fast genauso verdreckt wie er. Abgestumpft, erschöpft und verzweifelt starrte sie vor sich hin.
Heute , dachte sie eines Morgens, heute ist der elfte Tag . Heute wird er sterben . Perikles starb, obwohl er die beste Pflege hatte, die möglich gewesen war. Leon wird sterben, und ich habe kaum etwas für ihn tun können.
An diesem Tag band sie Ivy nicht mehr an. Soll sie doch gehen, dachte sie. Vielleicht findet sie allein nach Hause .
Leonidas war stiller geworden. Er erbrach sich nicht mehr – in seinem Magen war nichts mehr, was er hätte erbrechen können. Auch der Durchfall hörte auf. Der Husten ließ ein wenig nach. Für kurze Zeit schien er sogar einzuschlafen.
Leb wohl , dachte sie. Sie hatte fremde Leute sterben sehen und Menschen, die sie flüchtig kannte, neue Bekannte und Freunde, den armen alten Philoktetes. Und Perikles. Sie hatte geglaubt, dass nichts mehr schlimmer sein könnte als das. Aber Leonidas sterben zu sehen war tausendmal schlimmer. Leonidas war ihr Freund, er war Teil ihrer Vergangenheit. Und er hätte Teil ihrer Zukunft werden sollen. Sie hatte immer gewusst, dass er zurückkehren würde.
Mit diesen Gedanken lag sie neben ihm, tränenüberströmt, mager und schmutzig.
Ich liebe ihn.
Aber er wird tot sein, wenn ich aufwache.
ΚΑΠΙΤΕΛ 33
Er war nicht tot, als sie erwachte.
Denn als sie aufwachte, saß er neben ihr und trank Wasser.
»Ich bin hungrig«, sagte er. »Haben wir was zu essen?«
Sie starrte ihn völlig ungläubig an.
»Hast du eben gefragt, ob wir was zu essen haben?«, sagte sie schließlich.
»Ja, habe ich.«
»Ich … ich …«, stotterte sie.
»Ich habe nämlich schon ewig nichts mehr gegessen«, erklärte er und lächelte sie an, ein schwaches Lächeln, aber das schönste Lächeln, das sie jemals gesehen hatte.
Sie starrte ihn immer noch durchdringend an. »Ist das wahr?«
»Ich glaube schon«, erwiderte er lächelnd, und er war eindeutig lebendig. »Jedenfalls sagt mir das mein Magen – er knurrt entsetzlich.«
Sie setzte sich dicht neben ihm auf und legte den Kopf an seine Schulter. Er legte den Arm um sie, und ein unendlich großes Gewicht von Schmerzen und Sorgen fiel von ihnen ab.
»Oh«, seufzte sie.
Beide waren überglücklich – für einen kurzen Moment …
Dann setzte Halos Verstand wieder ein. Gib ihm etwas zu essen – aber was? Suche irgendetwas.
Weitere Kostenlose Bücher