Halo - Tochter der Freiheit
Dann musst du ihn waschen … dann müssen wir weiter. Ein Wunder, dass uns die Skythen noch nicht entdeckt haben – und auch die Spartaner könnten jeden Augenblick auftauchen. Vielleicht will er mit ihnen gehen … aber er ist noch nicht kräftig genug. Zurzeit verlieren alle den Verstand, oder werden blind, oder die Finger fallen ihnen ab. Was sollen wir nur tun? Wäre es denn sicher, ihn zu den Athenern zu bringen?
Jede Minute zählt.
Norden! , dachte sie dann. Weg von Athen, weg vom Krieg – nach Euböa? Nach Thessalien? Natürlich! Zu Kyllaros und Chariklo! Aber zuerst muss er essen. Wir brauchen Wasser. Was kann er anziehen? Jedenfalls kann er die Rüstung nicht mehr tragen … Ivy? Ist sie noch …
Doch dann wurde ihr jede Entscheidung aus der Hand genommen. Ihre Pläne wurden weggeblasen wie Löwenzahnsamen.
Die Erde bebte unter dem Hufschlag schwerer Pferde.
Dann hörte sie Wiehern. Männerstimmen brüllten über den Hof.
Spartaner. Sie werden mich töten.
Athener. Sie werden ihn töten.
Ihr Herz pochte hart gegen die Rippen, und sie atmete kurz und hektisch. Sie war völlig hilflos und wehrlos.
Es waren die Skythen.
Ivy wieherte den anderen Pferden freudig zu. Jemand ging zu ihr.
Halo stand auf, zögernd blieb sie im düsteren Raum stehen und starrte zur Tür. Leonidas kam ebenfalls mühsam auf die Beine.
Dann stürmte Arimaspou in die schmutzige kleine Zelle wie ein heftiger, frischer Westwind.
»Warst du die ganze Zeit hier?«, brüllte er. Halo hatte ihn noch nie so wütend gesehen.
»Ja«, sagte sie.
»Wir haben dich überall gesucht!« Seine Stimme klang hart und unbarmherzig.
Sie werden mich zurückbringen. Wegen Verrat anklagen. Hinrichten. Also werde ich nun doch sterben . Halo wollte zu Artemis beten, aber sie fühlte sich nicht mehr wie ein junges Mädchen. Sie wollte zu Athena beten, aber Athena stand nicht mehr auf der Seite der Athener. Halo hatte Angst.
»Ich musste mich verstecken«, brach es aus ihr heraus.
»Warum?«, fragte Arimaspou knapp.
»Ich musste ihn schützen …« Ihre Stimme versagte.
»Warum?«, fragte Arimaspou noch einmal. Ihr Auge zuckte kurz zu Leonidas hinüber. »Wer ist er?«
»Mein Name ist Leonidas«, sagte Leonidas. Schon diese wenigen Worte schienen ihn jetzt all seine Kraft zu kosten. Erschöpft lehnte er an der Wand. Seine grünen Augen leuchteten, aber er wirkte unendlich müde.
»Ich rede mit ihm!«, herrschte ihn Arimaspou an und wies mit einer Kopfbewegung auf Halo.
»Ein Mann darf seinen Namen selbst nennen«, murmelte Leonidas und schnaubte verächtlich.
Arimaspou warf ihm einen scharfen Blick zu, dann wandte er sich wieder an Halo.
»Hör zu«, sagte er knapp, »misch dich hier nicht ein. Niemand interessiert sich für deine Gründe. Und auch meine Geduld ist am Ende. Warum um alles in der Welt riskierst du dein Leben, deinen Ruf und eine Menge anderer Dinge, um einen Spartaner zu schützen?«
»Weil er mich beschützt hat«, sagte sie. »Er hat mir das Leben gerettet. Dreimal. Ich verdanke ihm alles.«
Leonidas blickte zu Boden und lächelte vor sich hin.
Arimaspou blickte ihn zum ersten Mal direkt an, dann wandte er sich wieder an Halo und seufzte.
»Dann stehen wir wohl in seiner Schuld«, sagte er knapp. Dann schloss er einen Moment lang das Auge und schien nachzudenken. Halo starrte ihn verwundert an. Plötzlich riss Arimaspou das Auge wieder auf und fragte scharf: »Und was hast du mit ihm vor?«
»Ich dachte«, sagte Halo schnell, bevor Arimaspou die Meinung ändern konnte, »dass ich ihn nach Norden bringe, sobald er wieder etwas kräftiger ist, nach Thessalien. Ich werde Cheiron und Kyllaros suchen und die Zentauren fragen, was man gegen die Pest tun kann … Niemand sonst weiß etwas darüber, aber vielleicht … vielleicht wissen die Zentauren, wie man die Krankheit behandelt, dann kann ich das Wissen nach Athen zurückbringen …«
Hauptmann Arimaspou schaute Halo an, dann schaute er Leonidas an, schließlich hob er sein einziges Auge zum Himmel und sagte zu Halos totaler Verblüffung: »Wir gehen mit euch.«
Die anderen Skythen hatten das Gespräch schweigend verfolgt. Keiner schien sonderlich überrascht über den Entschluss ihres Hauptmanns. Aber Halo war völlig verblüfft; sie war nicht einmal sicher, ob sie Arimaspou richtig verstanden hatte.
»Warum?«, fragte sie.
»Weil es unsere Pflicht ist«, entgegnete er ernst.
»Eure Pflicht wäre es doch, ihn gefangen zu nehmen und mich nach Athen zu schleppen
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