Halo - Tochter der Freiheit
und unseren Führern vor die Füße zu werfen«, sagte Halo.
Arimaspou betrachtete seine Fingernägel. »Nein. Unsere Pflicht ist es, genau das nicht zu riskieren.«
»Warum nicht?« Halo begriff überhaupt nichts mehr. »Ihr seid die Athener Stadtwache, und ich habe die Gesetze Athens verletzt … Warum nehmt ihr mich nicht gefangen?«
Arimaspou starrte noch immer auf seine Hände. Er schwieg lange, seltsam lange. Dann bellte er plötzlich seine Männer an: »Hat keiner von euch was zu essen? Gebt dem Spartaner etwas zu essen und Wasser, damit er sich waschen kann, er stinkt wie die Pest!«
»Arimaspou!«, rief Halo. »Sag mir, was hier vor sich geht!«
Der Hauptmann schien sich einen Ruck zu geben. Er packte Halo grob am Arm und zerrte sie durch die verrottete Tür hinaus in die helle Herbstsonne. Einen Augenblick lang war Halo wie geblendet.
»Schau mich an«, befahl Arimaspou. Er fasste Halos Gesicht mit beiden Händen. »Schau mich an!«
»Ich kann nicht«, antwortete Halo so ruhig wie möglich. »Niemand kann dich anschauen, weil du dein Gesicht immer verhüllst.«
Arimaspous klares helles Auge starrte Halo an. Ohne den Blick abzuwenden, hob er die Hand und begann, den Knoten seines Schals zu lösen. Er saß sehr fest.
»Warum ziehst du ihn nicht einfach runter?«, fragte Halo.
»Das könnte ich«, nickte Arimaspou, tat es aber nicht.
Halo hob behutsam die Hand und half ihm. Es dauerte einen Augenblick.
Endlich löste sich der Seidenschal, und Halo erblickte zum ersten Mal Arimaspous Gesicht.
»Was siehst du?«, fragte Arimaspou leise.
Halo sah eine hässliche leere Augenhöhle. Sie sah ein von vielen Narben entstelltes Gesicht. Sie sah, zwischen all den Narben auf seiner Stirn, ein paar verzerrte Linien, die tiefrot schimmerten … die Reste einer Tätowierung. Es war ein entsetzlich zerstörtes Gesicht. Aber ein Gesicht, das einmal schön gewesen war, das stark gewesen war.
Das Gesicht einer Frau.
Ihre Blicke hafteten aneinander. Sie schwiegen. Einen langen, langen Augenblick starrten sie einander an. In einem nahen Busch zirpte eine Grille.
Halo runzelte die Stirn.
»Du bist …?«, fragte sie zögernd.
»Ja«, sagte die Frau.
»Aber …«, stieß Halo hervor.
»Ja«, sagte die Frau.
»Wissen sie …?«
»Nein!«, entgegnete die Frau hart.
»Aber wie lange schon …?«
»Dreizehn Jahre«, sagte die Frau. »Seit ich mein Kind verlor … Seit ich dich verlor.«
Halo zitterte am ganzen Körper. Die Frau beugte sich vor und küsste sie auf die Wange, sanft, fast entschuldigend, aber unendlich zärtlich. »Ich will dich nicht noch einmal verlieren«, flüsterte sie. »Es tut mir leid … Alles, alles tu mir leid …« Dann legte sie den Schal wieder über ihr Gesicht und verknotete ihn geschickt und schnell.
Sie wurde wieder Arimaspou, der Hauptmann.
Halos Knie gaben nach. Sie fiel in Ohnmacht.
Hauptmann Arimaspou fing sie auf, drückte sie fest an die Brust und trug sie zum Haus zurück.
ΚΑΠΙΤΕΛ 34
Bei den Skythen brach hektische Betriebsamkeit aus. Doch Halo kam erst wieder zu Bewusstsein, als sie auf Arimaspous Pferd gepackt wurde. »Mir fehlt nichts, lasst mich runter … Es geht mir wieder gut«, protestierte sie.
»Wir gehen zurück nach Athen«, sagte Arimaspou. »Im Norden sind überall Spartaner. Das ist zu gefährlich mit einem Kranken.«
Einen Moment lang dachte Halo, dass sie sich alles nur eingebildet hatte. Dass der Hunger ihr einen Streich gespielt hatte. Das war Arimaspou. So wie er immer war.
»Ja, ihr müsst hier weg«, murmelte Leonidas, der sich an der Wand abstützte. »Sie können jeden Augenblick zurückkommen, um meinen Leichnam zu holen.«
Arimaspou erwiderte ruhig: »Dann sollten wir jetzt aufbrechen«, und schwang sich hinter Halo aufs Pferd.
»Gehe ich mit euch mit?«, erkundigte sich Leonidas.
»Aber – die Pest!«, rief Halo verwirrt. »Wir dürfen die Pest nicht nach Athen einschleppen!«
»Als wir ihn fanden, war er schon krank, und seitdem sind dreizehn Tage vergangen«, sagte Arimaspou.
»Das stimmt«, sagte Halo.
»Dann ist er jetzt sauber«, bestimmte Arimaspou.
»Woher weißt du das?«
»Das hat Hippias herausgefunden«, erklärte Arimaspou. »Aufgrund deiner Aufzeichnungen. Darauf kannst du stolz sein.«
Das war sie in der Tat. »Ja, dann kommst du mit«, sagte sie zu Leonidas. »Du bist immer noch in Lebensgefahr. Die Spartaner können dich nicht versorgen – sie werden sich nicht in deine Nähe trauen.« Und zu den Skythen
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