Halo - Tochter der Freiheit
Kyllaros. »Ein tätowiertes Menschenkind! Das muss etwas zu bedeuten haben, aber was, das weiß nur Zeus.«
Chariklo betrachtete das Zeichen eine Weile schweigend. »Es gleicht keinem anderen Symbol, das ich je gesehen habe. Möglicherweise ist es gar nicht griechisch, was meinst du?«
»Vielleicht ist unser neues Kind eine Fremde?«
»Vielleicht«, sagte Chariklo. »Doch dann muss es irgendwo in der Fremde eine Mutter geben, die sich nun vor Kummer verzehrt, weil sie ihr Kind verloren hat …«
»Das ist möglich«, meinte Kyllaros.
Chariklo biss sich auf die Lippen und seufzte. »Wie auch immer … woher die Kleine auch kommen mag, sie braucht auf jeden Fall etwas zu essen.« Ohne nachzudenken, setzte sie das Kind auf den Boden. Prompt kippte es um und heulte wütend auf.
»Oh nein!«, rief Chariklo, die nur Zentaurenkinder gewöhnt war und deshalb nicht daran gedacht hatte, dass sehr kleine Menschenkinder noch nicht selbst stehen oder laufen oder sitzen konnten. Zentaurenkinder konnten sofort nach der Geburt auf eigenen Beinen stehen, auch wenn ihre menschlichen Oberkörper noch sehr weich und schwach waren. Und schon im Alter von einem Jahr galoppierten Zentaurenkinder auf ihren flinken und starken Beinen überall herum und gerieten daher in alle möglichen Schwierigkeiten, mit denen die menschlichen Gehirne in ihren kleinen Köpfen noch nicht zurechtkamen.
»Oh, Kleines, tut mir leid!«, rief Chariklo und nahm das Kind schnell wieder auf den Arm. »Alles in Ordnung? Oh, mein Liebes … Aber wie zieht man eigentlich ein Menschenkind groß?« Sie sah zu Kyllaros auf, der aber nur die Schultern zuckte. »So bestimmt nicht«, überlegte sie, während sie den Säugling mit beiden Händen hielt, »denn sonst hätten Menschenmütter nie eine Hand frei, um nebenher noch etwas anderes zu tun … Ach, ich weiß!« Sie nahm das Kind auf den linken Arm und spürte sofort, wie sich die kurzen Beinchen an ihre Taille schmiegten. Sie trabte zum Brunnen und füllte eine Schale mit Wasser. »Wie alt sie wohl sein mag?«, fragte sie zu Kyllaros hinüber.
»Schwer zu sagen bei einem Menschen«, antwortete der.
Der Säugling hatte inzwischen Chariklos Haar entdeckt, eine lange, lockige dunkelrote Mähne, die in einigen recht unordentlich geflochtenen Zöpfen über ihren Hals hing. Es packte einen der Zöpfe und begann, darauf zu kauen. Chariklo zog die Haarsträhne vorsichtig aus den kleinen Händen, setzte das Kind in die Schale und übergoss es mit frischem Wasser. Vorsichtig wusch sie das kleine Mädchen und achtete besonders darauf, die Falten am Hals und in den Kniekehlen gründlich zu reinigen und auch die letzten kleinen Muscheln aus dem feinen Haar zu spülen. Dann rieb sie das Kind mit Olivenöl ein und goss ein wenig warme Ziegenmilch in den kleinen Becher, mit dem sie sonst Arko zu trinken gab. Damit der Säugling saugen konnte, legte sie ein Tuch über den Schnabel des Bechers, bettete das kleine Schildkrötenmädchen auf ihren Arm und fütterte es. Wie seltsam es sich anfühlt, dachte sie, ein ganzes Kind im Arm zu halten! Es war ein schönes Gefühl – das Menschenkind war anschmiegsamer als ein Zentaurenfohlen. Dabei sah es eigentlich ganz normal aus, wenn man es nur bis zur Hüfte anschaute. Chariklo blickte auf die seltsamen kleinen Menschenbeinchen, die so weich und rosafarben in der Luft strampelten. Sie musste kichern.
»Sie sieht überhaupt nicht wie eine Schildkröte aus«, sagte sie. »Wir könnten ihr den Namen einer der Meeresnymphen geben – Amphitrite, Halosydne oder Amathea … Oh, ist das Arko?«
Sie hatte einen Säuglingsschrei gehört. Und tatsächlich war Arko aufgewacht. Er lag in der von Wein überwachsenen Laube, in der sie alle zusammen die Sommernächte verbrachten.
»Bringst du ihn zu mir, mein Lieber?«
Kyllaros nickte, und kurz darauf kam er mit ihrem Sohn an der Hand zurück. Unsicher stakste der kleine Zentaur auf seinen langen Fohlenbeinen neben ihm her.
»Du säugst ihn, ich füttere sie«, sagte Kyllaros.
Sie legten sich nebeneinander in den Schatten, alle vier, und während die Sonne immer höher am Himmel aufstieg, tranken die kleinen Kinder zufrieden ihre Milch.
ΚΑΠΙΤΕΛ 2
Es gab zwei Arten von Zentauren: die Abkömmlinge Ixions, die wild und böse waren, und die des Kronos, die weise und gut waren. Am Anfang aller Zeiten verliebte sich Ixion, ein Mensch, leidenschaftlich in die Gottesmutter Hera. Das gefiel Heras Gatten Zeus, dem mächtigsten der Götter,
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