Halo - Tochter der Freiheit
Borgas schob ein paar halb verfaulte Bretter auseinander, brüllte etwas und streckte den Arm hinein. Eine Frauenstimme schallte heraus.
Kurz darauf zog er den Arm wieder heraus; er hielt eine Schale in der Hand. »Das ist dein Abendessen«, sagte er und reichte Halo die Schüssel Gerstenbrei. (So wie das Essen aussah, waren auch die Ratten schon darüber hergefallen.) »Lass es dir schmecken. Morgen Abend gibt’s noch mehr davon. Übermorgen auch. Und vergiss nicht, was Leonidas gesagt hat – wenn du die Stadt verlässt, oder wenn es auch nur so aussieht, als wolltest du die Stadt verlassen, oder wenn du auch nur daran denkst, die Stadt zu verlassen, bist du so gut wie tot.« Und wieder grinste er sie mit seinen gelben Zähnen an.
Wenig später lag Halo auf dem Strohbett, lauschte dem Quieken der Ratten und hörte die Rufe der Wärter draußen; dann wurde ein Riegel vor die Tür des Verschlags geschoben.
Hätte schlimmer gehen können , dachte sie. Zumindest habe ich den Neunjährigen gezeigt, was für ein harter Bursche ich doch bin .
Am nächsten Morgen gab es kein Frühstück. Stattdessen entdeckte sie einen winzigen Jungen, der neben ihr im Stroh lag und fest schlief. Seine Haut war so dunkel wie das Meer bei Nacht, und seine kleinen Muskeln wölbten sich auf Armen und Beinen wie kleine Seilknoten. Überrascht starrte sie ihn an, doch dann tauchten noch ein paar weitere Jungen aus dem Strohhaufen auf. Bei dreien entdeckte Halo ein dick geschwollenes blaues Auge, einer hatte eine gebrochene Nase, ein anderer eine böse Platzwunde über der Augenbraue. Und alle hatten Narben am ganzen Körper. Sie nickten ihr zu, und einer sagte: »Komm schon, gehen wir.« Zusammen krochen sie aus der Hütte und machten sich auf den Weg zum Übungsfeld.
Na gut , dachte sie, mit ein paar Narben werde ich wenigstens wie ein Junge aussehen …
Die ersten beiden Tage wurde sie wegen ihrer Kopfwunde vom Kämpfen freigestellt. Dann jedoch musste sie wieder gegen Krenas antreten. Er schenkte ihr sein niederträchtigstes Grinsen, stürmte auf sie los, packte sie und trieb ihr das Knie zwischen die Schenkel. Dann sprang er einen Schritt zurück und starrte sie an. Offenbar wartete er auf eine Reaktion. Sie schaute ihn nur erstaunt an.
»Was ist?«, fragte sie schließlich.
Er tat es noch einmal – also machte sie es einfach nach und trieb ihm ihr Knie in den Unterleib.
Der Junge kippte sofort um und heulte wie verrückt. Borgas rannte herbei und zog Halo kräftig am Ohr.
»Hör genau zu, du kleine Ratte! Das machst du nicht noch mal, verstanden? Du bist hier nur Übungspartner und nicht dazu da, den zukünftigen Stolz Spartas zu vernichten. Und du, Krenas – reiß dich endlich zusammen! Glaubst du denn, die ganze Welt hält sich beim Kämpfen an unseren Ehrenkodex? Das macht keiner! Du musst auf alles vorbereitet sein. Diese kleine Ratte hier ist genau richtig, um dir zu zeigen, womit du beim Kämpfen rechnen musst. Und wenn du das nächste Mal wieder über das bisschen Schmerzen jammerst, werde ich dich auspeitschen.«
Borgas hatte ihm kaum den Rücken zugewandt, als Krenas Halo schon wieder das Knie in den Unterleib stieß. Dieses Mal schrie sie genauso auf wie er. Zwar ärgerte es sie, sich schwach und verwundbar geben zu müssen – schon deshalb, weil es nicht sonderlich wehtat –, aber die anderen durften nicht merken, dass sie bei so einem Hieb nicht dieselben Schmerzen empfand wie ein Junge.
Wenig später beschloss Borgas, sie als Übungspartner bei den Zehnjährigen einzusetzen.
Leider wurde Krenas in derselben Woche zehn.
Halo war nicht besonders darüber erfreut, dass sie tatsächlich zu kämpfen begonnen hatte – und auch nicht über die Art, wie sie kämpfte: Sie kratzte und spuckte, würgte und trat wie eine Wildkatze. Sie schämte sich dafür, wenn sie daran dachte, was sie die Zentauren gelehrt hatten. Diese Art Junge hatte sie nicht werden wollen – ein fies und hinterhältig kämpfender Sklave, der ständig mit allen Streit suchte. Nein, sie wollte so sein wie Arko: stark und mutig, kühl und beherrscht – auch in größter Bedrängnis.
Aber Borgas trieb sie zu immer neuen Kämpfen an. Ständig bewachte er sie mit seiner Peitsche. Die Jungen beleidigten sie, sobald er nicht hinhörte, und sie konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen. Bald lernte sie, ihre unbändige Wut auf die Menschen an den spartanischen Jungen auszulassen. Sie dachte dann an die Leute von der Mani, an Aristides, an den Kapitän des
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