Halo - Tochter der Freiheit
harte Ausbildung überleben wollte. Sie waren wirklich Teile eines Ganzen, Glieder eines einzigen Körpers.
Unwillkürlich dachte Halo an die schreckliche Phalanx, die sie gesehen hatte, Reihe um Reihe mächtiger spartanischer Krieger mit scharlachroten Umhängen, unbesiegbar, und wo immer einer fiel, würde gleich ein anderer auf seinen Platz rücken. Sie stellte sich vor, wie die Phalanx gegen die Reihen des Feindes drückte, wie sie schob und presste, wie die Jungen gegen den Baum gedrückt hatten.
»Und – wovor fürchtet ihr euch?«, fragte sie frech.
Einen Augenblick lang herrschte betroffenes, eisiges Schweigen, während die Jungen sie anstarrten und über so viel Frechheit staunten. Dann brachen alle gleichzeitig wieder in höhnisches Gelächter aus und wollten nicht mehr damit aufhören.
Schließlich trennte sich die Gruppe. Leonidas führte Halo zum Gymnasium, wo er sie an Borgas übergeben sollte.
»Was ist ein Übungspartner?«, fragte sie Leonidas.
»Das ist einer, auf den die kleinen Jungen einprügeln dürfen«, erklärte er.
Sie starrte ihn verblüfft an.
»Boxen«, sagte er. »Mächtiger Ares, wo bist denn du aufgewachsen? Kampfübungen, schon mal gehört? Nun, die Kleinen lernen zu kämpfen, indem sie gegen dich kämpfen.«
»Ich kämpfe nicht«, sagte sie. Doch im selben Augenblick erinnerte sie sich an das Gefühl, das auf der Mani durch ihren Körper geschossen war: Sie hätte den Mann tatsächlich am liebsten getötet, weil er ihre Eule gestohlen hatte und seine Frau verprügelte. Entschlossen verdrängte sie die Erinnerung. »Ich kämpfe nicht«, wiederholte sie.
Leonidas blickte auf sie hinunter. »Es wird dir nichts anderes übrig bleiben, als zu kämpfen«, sagte er. »Aber keine Angst, es sind nur kleine Kinder.«
Borgas war alt, stark und dicht behaart. Sein Lachen klang wie das »I-a« eines Esels, er stank wie ein Ochse und hielt eine kleine, fies aussehende Peitsche in der Hand. Mit seiner schwieligen Pranke prüfte er ihre Oberarme, hob sie hoch, um ihr Gewicht zu schätzen, und befahl ihr, ihn in den Bauch zu boxen. Die Berührung und das Hochheben machte sie so wütend, dass sie mit aller Kraft auf ihn einschlug.
Er lachte wieder wie ein Esel. »Nicht schlecht«, meint er. »Ganz munter, das Bürschchen. Hast du überhaupt schon zu kämpfen gelernt?«
Halo rieb sich die schmerzenden Handknöchel. »Nein«, fauchte sie gereizt. Sein Bauch war härter gewesen, als sie gedacht hatte.
»Macht nichts, du wirst es schnell lernen«, sagte er böse grinsend. »In Ordnung, fangen wir an. Und zieh endlich deinen weibischen Chiton aus. Du kannst mit den Neunjährigen beginnen.« Er griff nach Halos Chiton und versuchte, ihn ihr über den Kopf zu ziehen.
»Hände weg!«, schrie sie, wand sich aus seinem Griff und sprang einen Schritt zurück. »Wo ich herkomme, tragen wir immer Kleider, und ich ziehe mich nicht für dich oder sonst irgendwen aus!«
»Ziemlich schnell mit den Füßen!«, bemerkte Borgas anerkennend.
Halo starrte ihn nur an.
»Komm schon, zieh ihn aus!«, befahl er.
»Nein!«, schrie sie.
»Mein kleiner Freund ist ein Fremder«, mischte sich nun Leonidas ein, der sich alle Mühe gab, nicht laut loszulachen. »Er ist wirklich sehr … schamhaft. Lass ihn – soll er doch den Chiton tragen, der Knirps!«
»Nenn mich nicht so!«, fauchte sie ihn an.
»Mach keine Schwierigkeiten. Tu, was Borgas dir sagt. Und versuch bloß nicht auszureißen. Wenn du das auch nur probierst, werden sie dich töten.«
Es klang leicht und unbekümmert, als er das sagte, und sie fragte sich, ob er sich über sie lustig machte oder sie tatsächlich warnen wollte?
»Guter Rat«, brummte Borgas, fingerte an seiner Peitsche und grinste Halo mit gelben Zähnen an. »Nun komm schon, an die Arbeit.«
Über das ganze Feld waren kleine Gruppen von Jungen mit verschiedenen Übungen beschäftigt. Läufer rasten über die Bahn, und in größerer Entfernung übten die Diskuswerfer oder maßen ab, wie weit die Scheiben geflogen waren. Borgas führte Halo zu einer Jungengruppe, die um etwas herumstand. Aus der Entfernung klangen ihre schrillen Schreie fast wie Vogelgezwitscher, aber als Halo näher kam, sah sie, dass es wohl um etwas sehr Ernstes gehen musste.
In der Mitte kämpften zwei Jungen miteinander – nichts weiter. Sie hieben, boxten, schlugen, kickten, kratzten und bissen einander und versuchten sogar, dem Gegner die Augen einzudrücken. Beide waren außer sich vor Wut und
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