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Halo

Halo

Titel: Halo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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sich an Gabriel und Ivy gewöhnt; Mollys Besuch überraschte sie.
    «Das ist Molly», sagte Gabriel. «Sie hat netterweise angeboten, uns heute ein bisschen zu helfen.»
    «Wir freuen uns über jeden», sagte Helen, eine der Stationsschwestern. «Besonders, wenn wir so wenige sind wie heute.» Sie sah abgespannt und müde aus.
    «Ich helfe gerne aus», verkündete Molly. Sie sprach jedes einzelne Wort besonders deutlich aus, als ob Helen schwerhörig wäre. «Es ist wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben.» Sie warf einen Seitenblick auf Gabriel, aber der war damit beschäftigt, den Gitarrenkoffer zu öffnen, und hatte nicht zugehört.
    «Ihr kommt gerade rechtzeitig zum Frühstück», sagte Helen.
    «Danke, aber ich habe schon gegessen», antwortete Molly.
    Helen sah irritiert aus. «Ich meinte das Frühstück für die Bewohner. Ihr könnt beim Füttern helfen, wenn ihr wollt.»
    Wir folgten ihr durch einen schmuddeligen Flur in den schäbigen Speisesaal. Hier herrschte eine triste Stimmung, trotz der Vivaldi- CD , die irgendjemand in den alten Player geschoben hatte. Der geblümte Teppich war abgeschabt, und die Vorhänge, auf denen blasse Früchte zu sehen waren, ausgeblichen und vergilbt. Die Alten saßen auf Plastikstühlen an Resopaltischen. Für diejenigen, die sich nicht mehr aufrecht halten konnten, gab es lederbezogene Clubsessel. Überall klebten Lufterfrischer an den Wänden, aber dennoch roch es deutlich nach Ammoniak und Kohl. In einer Ecke des Raumes lief eine Tiersendung auf einem alten tragbaren Fernseher. Die Betreuerinnen falteten routiniert Servietten, räumten Geschirr ab und banden den Bewohnern, die es nicht mehr selbst konnten, Lätzchen um. Einige Gesichter wandten sich uns zu, als wir eintraten. Die anderen schienen kaum noch etwas um sich herum wahrzunehmen.
    Auf einem Wägelchen stapelten sich die Frühstückstabletts. Jede einzelne Mahlzeit war in Folie eingeschweißt. Darunter standen Plastikbecher mit Tülle und jeweils zwei Griffen, die aussahen wie Kinderbecher.
    Alice war nirgends zu sehen, also verbrachte ich die nächste halbe Stunde damit, eine Frau zu füttern, die Dora hieß. Sie saß zusammengesunken in einem Rollstuhl, man hatte ihr ein buntes Häkelplaid über die Knie gelegt. Ihr Mund war schlaff, und ihre Lider hingen, die Haut war fahl und dünn, die Hände voller Altersflecken. Über ihr Gesicht zog sich ein Netz aus feinen geplatzten Äderchen. Ich war mir nicht ganz sicher, was man in Fairhaven üblicherweise unter «Frühstück» verstand, aber das, was ich verfütterte, war ein Haufen blassgelber Matsch. Vielleicht hatte man das Essen püriert, damit sich niemand verschluckte.
    «Was ist das denn?», fragte ich Helen.
    «Rührei», sagte sie über die Schulter und schob das Wägelchen weg.
    Einer der alten Männer versuchte einen Schluck Tee aus dem Becher zu nehmen, aber seine Hände zitterten so stark, dass er die Flüssigkeit auf seinem Hemd verschüttete. Sofort war Gabriel zur Stelle. «Ich mach das schon», sagte er und tupfte die nasse Stelle mit einem Küchentuch trocken. Molly war so damit beschäftigt, ihm dabei zuzusehen, dass sie ganz vergaß, ihren Schützling zu füttern, der mit offenem Mund dasaß und auf den nächsten Löffel wartete.
    Als Dora satt war, ging ich zu Mabel, die den Ruf hatte, besonders widerspenstig zu sein. Sie schob den Löffel weg, den ich ihr hinhielt, und kniff die Lippen zusammen.
    «Haben Sie denn keinen Hunger?», fragte ich.
    «Oh, mach dir über Mabel keine Gedanken», sagte Helen. «Sie wartet auf Gabriel. Wenn er hier ist, lässt sie sich von niemand anderem füttern.»
    «Okay», sagte ich. «Ich habe Alice noch gar nicht gesehen. Wo ist sie denn?»
    «Wir haben sie in ein Einzelzimmer verlegt», antwortete Helen. «Ich fürchte, sie hat ziemlich nachgelassen, seit du sie das letzte Mal besucht hast. Sie sieht nur noch ganz schlecht und hat sich immer noch nicht von einer Lungenentzündung erholt. Ihr Zimmer ist ganz hinten – die erste Tür rechts. Ich bin sicher, dass es ihr sehr guttun wird, dich zu sehen.» Warum hatten mir Gabriel und Ivy nichts davon gesagt? War ich so mit mir selbst beschäftigt gewesen, dass sie dachten, es interessiere mich nicht? Angst kroch in mir hoch, als ich auf Alice’ Zimmer zusteuerte.
    Phantom war mir vorausgelaufen und wartete schon schwanzwedelnd vor ihrer Tür. Als ich sie öffnete und wir eintraten, erkannte ich die Frau im Bett kaum wieder. Sie ähnelte der Alice, die ich

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