Halo
abschließen sollen», schnarrte Jake. «Mach dir keine Sorgen, es wird schmerzlos sein. Immerhin ist er schon halb tot …»
Mit einer Bewegung des Handgelenks zog er Xavier auf die Füße und schob ihn zum Rand der Klippe. Xavier hätte Jake in jedem fairen Kampf besiegt, aber gegen Jakes übernatürliche Kräfte war er machtlos.
«Süße Träume, mein hübscher Junge», sagte Jake, als Xaviers Füße vom Felsrand rutschten.
Meine Schreie wurden von der Nacht verschluckt.
Die nächsten Tage vergingen wie in einem Nebel. Ich hatte das Gefühl, nicht wirklich lebendig zu sein, sondern das Leben nur von außen zu betrachten. Ich ging nicht zur Schule, und Ivy und Gabriel versuchten auch nicht, mich dazu zu überreden. Ich aß kaum etwas und blieb im Bett; eigentlich tat ich nichts anderes, als zu schlafen. Schlafen war die einzige Möglichkeit, dem Schmerz zu entkommen, der durch die Sehnsucht nach Xavier in mir bohrte.
Mein einziger Trost war Phantom. Er schien mein Elend zu spüren, blieb immer an meiner Seite und brachte mich sogar zum Lächeln. Er zog Unterwäsche aus meiner offenen Schublade und verteilte sie in meinem Zimmer; er verhedderte sich in Ivys Strickzeug, sodass ich ihn schließlich befreien musste; und einmal trug er ein ganzes Paket Trockenfutter herauf, in der Hoffnung, von mir belohnt zu werden. Diese kleinen Kunststücke boten mir Atempausen in der nicht enden wollenden Stille und Leere, die sich vor mir ausbreitete, doch sobald sie vorüber waren, verfiel ich wieder in meinen komaartigen Zustand.
Ivy und Gabriel machten sich immer größere Sorgen um mich. Ich benahm mich wie ein Geist und konnte noch nicht einmal im Haushalt mithelfen.
«Das kann so nicht weitergehen», sagte Gabriel eines Nachmittags, als er von der Schule nach Hause kam. «Das ist doch kein Leben.»
«Es tut mir leid», sagte ich leise. «Ich versuche es ja.»
«Nein», sagte er. «Ivy und ich werden uns heute Abend darum kümmern.»
«Was habt ihr vor?», fragte ich.
«Warte es ab», antwortete er und weigerte sich, mir mehr zu sagen.
Nach dem Abendessen verließen er und Ivy zusammen das Haus, während ich auf dem Bett lag und an die Decke starrte. Ich glaubte nicht, dass sie irgendetwas tun konnten, um das Problem zu lösen, aber es war nett, dass sie es versuchten.
Ich quälte mich aus dem Bett und betrachtete mich im Badezimmerspiegel. Ich sah anders aus. Selbst in dem weiten Schlafanzug konnte ich sehen, dass ich in nur wenigen Tagen an Gewicht verloren hatte. Mein Gesicht war eingefallen, meine Schulterblätter traten hervor. Meine Haare hingen schlaff herab und sahen stumpf aus, genau wie meine Augen, die groß, dunkel und traurig wirkten. Ich stand gekrümmt da, als könnte ich kaum mein eigenes Gewicht tragen, und mein Gesicht wirkte wie mit Schatten überzogen. Ich fragte mich, ob ich je die Stücke meines Lebens hier auf der Erde würde zusammenfügen können, die auseinandergebrochen waren, als Xavier mich verlassen hatte. Einen Moment lang fiel mir ein, dass er nicht wirklich Schluss gemacht hatte, aber genau das hatte er gemeint. Ich hatte sein Gesicht gesehen: Es war vorbei.
Ich schlurfte zurück zu meinem Bett und kroch unter die Decke.
Eine Stunde später klopfte es an meiner Tür, aber durch den Nebel, der mich umgab, hörte ich es kaum. Noch einmal klopfte es, diesmal lauter. Ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde und jemand ins Zimmer kam. Ich zog mir das Kissen über den Kopf. Ich wollte nicht überredet werden, nach unten zu kommen.
«Jesus, Beth!», hörte ich Xaviers Stimme von der Tür. «Was tust du dir an?»
Ich lag ganz still und wagte nicht zu glauben, dass er es wirklich war. Ich hielt den Atem an – wenn ich den Kopf hob, wäre das Zimmer sicher leer. Doch dann sprach er wieder.
«Beth … Gabriel hat mir alles erzählt … was Jake getan hat und wie er dich behandelt hat. O Gott, es tut mir so leid.»
Ich setzte mich auf. Da stand er in einem weißen T-Shirt und verwaschenen Jeans, groß und schön, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Sein Gesicht war blasser als sonst, und unter seinen Augen waren Schatten – die einzigen Zeichen, dass es ihm ebenfalls nicht gutgegangen war. Ich sah, wie er bei meinem hageren und erschöpften Anblick zusammenzuckte.
«Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen», flüsterte ich und blickte an ihm hoch und runter, als könnte ich nicht glauben, dass er wirklich hergekommen war.
Xavier kam zum Bett, nahm meine Hand und drückte sie
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