Halo
wenig vom Zauber des Augenblicks zu erhaschen.
«Du Armer, du hast jetzt schon einen Fanclub», sagte ich und tätschelte ihm mitleidig den Arm, als wir uns auf den Weg nach Hause machten.
«Da bin ich nicht der Einzige», antwortete Gabriel. «Du hast auch ziemliche Aufmerksamkeit erregt.»
«Ja, aber niemand hat wirklich versucht, mit mir zu reden.» Meine Begegnung mit Xavier Woods erwähnte ich nicht – irgendwie wusste ich, dass Gabriel das nicht gefallen würde.
«Sei dankbar für kleine Gnaden», sagte er trocken.
Als wir zu Hause waren, schilderte ich Ivy Punkt für Punkt den Tag. Gabriel, den nicht jede Kleinigkeit interessierte, schwieg. Ivy unterdrückte ein Lächeln, als ich ihr die Geschichte von dem stolpernden Mädchen erzählte.
«Mädchen im Teenageralter fehlt es manchmal an Raffinesse», sinnierte sie. «Die Jungen sind hingegen viel schwerer zu durchschauen. Das ist alles sehr interessant, findet ihr nicht?»
«Auf mich wirkten sie alle ziemlich verloren», sagte Gabriel. «Ich frage mich, ob sie eigentlich wissen, worum es im Leben geht. Mir war nicht klar, dass wir ganz von vorne anfangen müssen. Es wird schwerer, als ich dachte.» Er schwieg und erinnerte uns damit an die gewaltige Aufgabe, die vor uns lag.
«Wir haben immer gewusst, dass es hart wird», sagte Ivy sanft.
«Ich habe da übrigens etwas mitbekommen», sagte ich. «In den letzten Monaten scheint hier in der Stadt ziemlich viel passiert zu sein. Ich habe ein paar wirklich schlimme Geschichten gehört.»
«Zum Beispiel?», fragte Ivy.
«Zwei Schüler sind vor gar nicht langer Zeit bei merkwürdigen Unfällen ums Leben gekommen», sagte ich. «Und es gab Krankheitsepidemien und Brände und andere ungewöhnliche Dinge. Den Leuten fällt langsam auf, dass irgendetwas vor sich geht.»
«Scheint, als ob wir gerade rechtzeitig gekommen wären», sagte Ivy.
«Aber wie können wir herausfinden, wer … oder was dafür verantwortlich ist?», fragte ich.
«Im Moment gibt es noch keine Möglichkeit, diejenigen zu finden», sagte Gabriel. «Es ist unsere Aufgabe, hinter ihnen herzuräumen und zu warten, bis sie wieder ihr Gesicht zeigen. Vertraut mir. Sie werden nicht ohne Kampf zu Boden gehen.»
Wir schwiegen alle und dachten darüber nach, wie wir uns derartiger Zerstörungswut entgegenstellen konnten.
«Jedenfalls habe ich heute eine Freundin gefunden», vermeldete ich in dem Versuch, die Düsternis, die uns ergriffen hatte, zu erhellen. Es, klang, als hielte ich es für eine großartige Leistung, und beide sahen mich mit der inzwischen schon vertrauten Mischung aus Besorgnis und Missbilligung an.
«Ist damit irgendetwas nicht in Ordnung?», verteidigte ich mich. «Darf ich keine Freunde haben? Ich dachte, wir sollen uns anpassen!»
«Anpassen ist eine Sache, aber ist dir bewusst, dass Freunde Zeit und Energie beanspruchen?», fragte Gabriel. «Sie wollen eine Bindung eingehen.» Er verzog das Gesicht, als würde ihm die Vorstellung Schmerzen verursachen.
«Körperlich? Meinst du verschmelzen?» Ich war verwirrt.
«Ich meine, dass sie dir emotional nahekommen wollen», erklärte mein Bruder. «Menschliche Beziehungen können unnatürlich eng sein – was ich niemals begreifen werde.»
«Sie können auch ablenken», fügte Ivy hinzu. «Nicht zu vergessen, dass Freundschaft Erwartungen in sich trägt, also wähle mit Bedacht.»
«Was für Erwartungen?»
«Menschliche Freundschaften basieren auf Vertrauen. Freunde tauschen sich über Probleme aus, geben sich gegenseitig Zuversicht und …» Sie schüttelte ihr goldenes Haar und warf Gabriel einen flehenden Blick zu.
«Was Ivy meint, ist, dass jeder, der dein Freund wird, Fragen stellen und Antworten erwarten wird», sagte Gabe. «Sie möchten ein Teil deines Lebens werden, und das ist gefährlich.»
«Vielen Dank für diesen Vertrauensbeweis», antwortete ich entrüstet. «Ihr wisst, dass ich niemals etwas tun würde, das unsere Mission gefährdet. Für wie dumm haltet ihr mich eigentlich?»
Zufrieden sah ich, dass sie einen schuldigen Blick wechselten. Ich war vielleicht jünger und weniger erfahren als sie, aber es gab keinen Grund, mich wie eine Idiotin zu behandeln.
«Wir halten dich nicht für dumm», sagte Gabriel in versöhnlicherem Ton. «Natürlich vertrauen wir dir. Wir möchten einfach nur verhindern, dass alles unnötig kompliziert wird.»
«Das wird nicht passieren», sagte ich. «Aber trotzdem möchte ich das Leben eines Teenagers
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