Halo
Neben der älteren Frau saß ganz gehorsam ein silbergrauer Hund. Es war das seltsamste Wesen, das ich je gesehen hatte, mit einem so aufmerksamen Gesichtsausdruck, als wäre er ein Mensch. Selbst im Sitzen hielt er den Körper gerade und hatte ein nahezu majestätisches Aussehen. Seine Lefzen hingen leicht herunter, sein Fell war seidig und gepflegt, und seine Augen leuchteten so farblos wie das Mondlicht.
Die Frau strahlte so viel Niedergeschlagenheit aus, dass ich aufmerksam wurde. Als ich einen Blick auf den Zettel am Schaufenster des Supermarktes warf, erkannte ich den Grund für ihren Kummer. Es war eine Anzeige, in der der Hund angeboten wurde: «Kostenlos in gute Hände abzugeben».
«Es ist zu seinem Besten, Alice, du wirst sehen», sagte die jüngere Frau in frischem, pragmatischem Tonfall. «Du möchtest doch, dass Phantom glücklich ist, nicht wahr? Wenn du umziehst, kannst du ihn nicht mitnehmen. Du kennst die Regeln.»
Die ältere Frau schüttelte traurig den Kopf.
«Aber er wird an einem fremden Ort sein und nicht verstehen, was vor sich geht. Zu Hause haben wir unsere kleinen Gewohnheiten.»
«Hunde sind sehr anpassungsfähig. So, und jetzt lass uns gehen, damit du rechtzeitig zum Abendessen zu Hause bist. Ich bin sicher, dass das Telefon zu klingeln beginnt, sobald wir durch die Tür kommen.»
Die Frau, die Alice hieß, schien die Zuversicht ihrer Begleiterin nicht zu teilen. Ich sah, wie ihre krummen Finger ängstlich das Halsband des Hundes umklammerten und wie ihre Hände zu ihrem Haar wanderten, das im Nacken zu einem dünnen Zopf gebunden war.
«Aber woher weiß ich, dass man sich gut um ihn kümmert?», zweifelte sie.
«Derjenige, der ihn nimmt, soll dich ab und zu mit ihm in deiner neuen Wohnung besuchen.»
Ein leicht ungeduldiger Ton hatte sich in die Stimme der jüngeren Frau geschlichen. Ich bemerkte auch, dass sie immer lauter wurde, je länger das Gespräch dauerte. Ihre Brust hob und senkte sich, und Schweißtropfen begannen auf ihren gepuderten Schläfen zu perlen. Sie schaute immer wieder auf die Uhr.
«Was, wenn sie es vergessen?» Alice klang verdrießlich.
«Das werden sie schon nicht», sagte ihre Begleiterin abfällig. «So, brauchst du noch irgendetwas, bevor ich dich nach Hause fahre?»
«Nur noch eine Tüte Hundeleckerli für Phantom, aber nicht die mit Huhn, die mag er nicht.»
«Also gut, dann bleib kurz hier sitzen, ich gehe schnell rein und hole sie.»
Alice nickte und starrte mit resigniertem Blick vor sich hin, während sie darauf wartete, dass ihre Freundin zurückkam. Sie beugte sich vor und streichelte Phantom hinterm Ohr. Er sah sie mit irritiertem Blick an. Zwischen Tier und Besitzerin schien eine Art stille Verständigung zu bestehen.
«Was für ein wunderschöner Hund», sagte ich als Einleitung. «Was ist das für eine Rasse?»
«Ein Weimaraner», antwortete Alice. «Aber leider, leider nicht mehr lange meiner.»
«Ja, das war nicht zu überhören.»
«Armer Phantom.» Alice seufzte und neigte sich hinunter, um mit dem Hund zu reden. «Du weißt genau, was vor sich geht, nicht wahr? Aber du bist sehr tapfer.»
Ich kniete mich hin und tätschelte Phantom am Kopf. Er beschnüffelte mich misstrauisch, bevor er mir seine riesige Pfote reichte.
«Wie ungewöhnlich», sagte Alice. «Normalerweise ist er bei Fremden viel reservierter. Du musst ein Hundemensch sein.»
«Oh, ich liebe Tiere», sagte ich. «Bitte entschuldigen Sie meine Frage, aber wohin ziehen Sie, wo er nicht mitkommen kann?»
«Ich ziehe in die neue Seniorenresidenz in der Stadt, Fairhaven. Hast du davon gehört? Haustiere sind nicht erlaubt, es sei denn, du zählst Goldfische dazu.»
«Wie schade», sagte ich. «Aber machen Sie sich keine Sorgen, ich bin sicher, dass ein Hund wie Phantom sehr schnell einen neuen Besitzer findet. Freuen Sie sich darauf umzuziehen?»
Die Frage schien die Frau ein wenig zu verblüffen. «Weißt du, dass du die Erste bist, die mich das fragt? Irgendwie ist mir das bislang ziemlich egal. Es ginge mir besser, wenn ich wüsste, dass Phantom seinen Platz gefunden hat. Ich hatte gehofft, dass meine Tochter ihn nimmt, aber sie hat nur eine kleine Wohnung.»
Als Phantom seine weiche Nase gegen meine Hand drückte, kam mir eine Idee. Vielleicht war diese Begegnung Vorsehung, vielleicht bot sie mir die Möglichkeit der Wiedergutmachung, angesichts des mangelnden Verantwortungsbewusstseins, das ich gerade bewiesen hatte. War es nicht das, was von mir erwartet
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