Halo
spürte seinen schnellen Herzschlag.
«Langsam», murmelte er mir ins Ohr, ließ mich aber nicht los. Wir standen eng umschlungen da, bis Xavier sich sanft, aber bestimmt von mir löste. Er schob mir eine Haarsträhne hinters Ohr und lächelte mich mit seinem versonnenen halben Lächeln an. «Und?», fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust.
In meinem Kopf war alles wie im Nebel. «Und was?»
«Hat dir das geholfen, dich zu entscheiden?»
Statt einer Antwort vergrub ich meine Finger in seinem nussbraunen Haar und zog ihn zu mir.
«Ich denke schon», sagte ich mit unverhohlenem Glück in der Stimme.
Dieser Tag lehrte mich, dass ich mehr wollte als nur seine Gesellschaft. Ich sehnte mich nach seinen Berührungen. In meinem Kopf gab es keinen Zweifel mehr. Ich spürte ein Brennen an der Stelle, an der er mein Gesicht berührt hatte, und alles, was ich wollte, war, dass er es wieder tat. Erst vor ein paar Stunden hatte ich ernsthaft geglaubt, dass es keine andere Möglichkeit gab, als einen Strich unter unsere Freundschaft zu ziehen, weil ich keinen Weg sah, ihm klarzumachen, wer ich war. Jetzt erkannte ich, dass es eine andere Möglichkeit gab. Es würde als ernsthafte Verfehlung gewertet und wer weiß wie bestraft werden, aber die Vorstellung erschien mir weniger furchterregend, als von ihm getrennt zu sein. Wenn es bedeutete, dass es uns den Schmerz der Trennung ersparte, würde ich den Konsequenzen ins Auge sehen.
Alles, was ich tun musste, war, meine Wachsamkeit aufzugeben und Xavier in mein Herz zu lassen.
«Ich möchte, dass wir zusammen sind», sagte ich. «Ich glaube, ich habe mir noch niemals etwas so sehr gewünscht.»
Xavier streichelte meine Hand und verschränkte unsere Finger. Sein Gesicht war so nah, dass sich fast unsere Nasen berührten. Er lehnte sich vor, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. «Wenn du mich willst … Du hast mich bereits.»
Ich konnte ein Seufzen nicht unterdrücken, als er mit seinen Küssen von meinem Ohr den Hals hinabwanderte. Das Klassenzimmer um uns herum schmolz wie Schnee in der Sonne.
«Da ist nur noch eins», sagte ich und versuchte ihn wegzuschieben. Er betrachtete mich mit seinen durchdringenden blauen Augen, und ich vergaß beinahe, was ich sagen wollte. «Das mit uns wird nicht funktionieren, solange du nicht die Wahrheit kennst.» Wenn mir Xavier so viel bedeutete, wie mein dröhnender Herzschlag mir sagte, dann verdiente er die Wahrheit. Wenn sich herausstellte, dass die Wahrheit zu viel für ihn war, dann bedeutete das vielleicht, dass meine Gefühle nicht im gleichen Maße erwidert wurden, und dann musste ich das akzeptieren. So oder so war es Zeit, die Scharade zu beenden. Xavier musste mein nacktes Ich sehen, nicht die idealisierte Version von mir, die er im Kopf hatte. In anderen Worten, er musste mich ungeschminkt kennenlernen.
«Ich bin ganz Ohr», sagte er und blickte mich erwartungsvoll an.
«Nicht jetzt. Es wird nicht einfach, und ich brauche mehr Platz, als wir hier haben.»
«Also wann?», fragte er verblüfft.
«Kommst du nächste Woche zum Lagerfeuer am Strand?», fragte ich schnell, als die Schüler zur nächsten Stunde hereinströmten.
«Ich wollte dich fragen, ob wir zusammen hingehen.»
«Okay», nickte ich zustimmend. «Dort werde ich dir alles erzählen.»
Xavier küsste mich rasch und verließ das Klassenzimmer. Ich tastete so atemlos nach der nächstbesten Tischkante, als wäre ich gerade einen Marathon gelaufen.
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14 Gegen die Schwerkraft
Die ganze Woche geisterte mir das Lagerfeuer im Kopf herum. Mein eigener Plan versetzte mich in Panik, gleichzeitig war ich aber auch freudig erregt. Seit ich die Entscheidung getroffen hatte, war es, als wäre mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen. Nach den vielen Diskussionen, die ich mit mir selbst geführt hatte, war ich jetzt erstaunlich sicher, dass meine Entscheidung richtig war. Im Kopf übte ich immer wieder die Worte, mit denen ich Xavier die Wahrheit sagen würde, und fügte jedes Mal kleine Änderungen hinzu.
Xavier benahm sich jetzt so, als wären wir ein Paar, und ich war glücklich darüber. Auf diese Weise hatten wir unsere eigene exklusive Welt, zu der niemand anderes Zutritt hatte. Das bedeutete, dass wir unsere Beziehung ernst nahmen und daran glaubten, dass sie eine Zukunft hatte. Es war keine Liebelei, der wir entwachsen würden. Wir hatten eine Bindung zueinander. Jedes Mal, wenn ich daran dachte, musste ich lächeln. Natürlich
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