Halo
glauben.»
«Auch wenn nachher alles umsonst war?»
«Du hast selbst gesagt, dass es eine Chance gibt.» Xavier verschränkte seine Finger mit meinen. «Mehr brauchen wir nicht.»
In den letzten Wochen hatte ich ein ziemlich schlechtes Gewissen gehabt, weil ich mich so von Molly zurückgezogen hatte. Sie gab sich zwar damit zufrieden, dann Zeit mit mir zu verbringen, wenn Xavier anderweitig beschäftigt war, aber ich wusste, dass sie eigentlich neidisch auf Xaviers Monopol auf meine Zeit und meine Aufmerksamkeit war. Zum Glück war Molly realistisch: Sie vertrat die Ansicht, dass Freundschaft in den Hintergrund treten musste, wenn eine neue Beziehung begann – vor allem dann, wenn die Beziehung so intensiv war wie die von Xavier und mir. Sie schien ihre frühere Wut auf ihn überwunden zu haben, und obwohl sie weit davon entfernt war, Xavier als Freund zu betrachten, war sie doch bereit, ihn als meinen zu akzeptieren.
Eines Nachmittags waren Xavier und ich auf dem Weg in die Stadt, als wir Ivy mit einem dunkelhaarigen älteren Schüler der Bryce Hamilton unter einer Eiche stehen sahen. Der Junge trug eine Baseballkappe verkehrt herum auf dem Kopf, seine Hemdsärmel waren hochgekrempelt, um seine muskulösen Arme zu zeigen, und er lächelte Ivy beim Sprechen vielsagend an. Ich hatte meine Schwester noch nie so verlegen gesehen – der Junge hatte sie in die Enge getrieben. Sie umklammerte mit einer Hand ihren Einkaufskorb und streifte sich mit der anderen nervös die Haare hinter die Ohren. Es war offensichtlich, dass sie eine Möglichkeit suchte zu flüchten.
Ich stupste Xavier an. «Was geht da drüben vor sich?»
«Sieht so aus, als hätte Chris Bucknall endlich den Nerv gefunden, sie zu fragen, ob sie mit ihm ausgeht», sagte Xavier.
«Du kennst ihn?»
«Er ist in meiner Wasserballmannschaft.»
«Ich glaube nicht, dass er Ivys Typ ist.»
«Das überrascht mich nicht», sagte Xavier. «Er ist ein ziemlicher Blödmann.»
«Was sollen wir machen?»
«Hey, Bucknall», rief Xavier. «Kann ich kurz mit dir reden?»
«Schlecht, Kumpel, hab gerade zu tun», antwortete der Junge.
«Hast du schon das Neueste gehört?», fragte Xavier. «Der Coach will uns heute Nachmittag vor dem Spiel alle in seinem Büro sehen.»
«Echt? Wieso?», sagte Chris, ohne sich umzudrehen.
«Weiß nicht. Es geht irgendwie um die Namen für das Testspiel für die nächste Saison. Wer nicht auftaucht, darf nicht mitmachen.»
Chris Bucknall wirkte alarmiert. «Ich muss los», sagte er zu Ivy. «Dich sehe ich später.»
Ivy lächelte Xavier dankbar zu, als Chris davonsprintete.
Mittlerweile schienen Gabriel und Ivy Xavier akzeptiert zu haben. Er drang nicht in unsere Privatsphäre, gehörte aber bald zum Inventar. Ich hatte das Gefühl, dass sie seine Gegenwart sogar schätzten. Erstens, weil er so gut auf mich aufpasste, und zweitens, weil er so nützlich war, wenn es um Technik ging. Gabriel hatte festgestellt, dass die Schüler ihn seltsam ansahen, wenn er nicht wusste, wie der DVD -Player funktionierte, und Ivy wollte über das E-Mail-Netz der Schule für ihre gemeinnützigen Aktionen werben. Beide hatten Xaviers Hilfe in Anspruch genommen. Meine Geschwister waren zwar sehr belesen, aber Technik war für sie das reinste Minenfeld, weil sie sich ständig veränderte. Gabriel hatte Xavier auch widerwillig gestattet, ihm zu zeigen, wie er seinen Kollegen an der Bryce Hamilton E-Mails schicken konnte und wie ein iPod funktionierte. Mir kam es so vor, als spräche Xavier eine ganz andere Sprache, wenn er Begriffe wie Bluetooth, Gigabyte oder WLAN benutzte. Bei jedem anderen hätte ich mich ausgeklinkt, aber ich liebte den Klang seiner Stimme, egal, worüber er sprach. Ich konnte stundenlang zusehen, wie er sich bewegte, zuhören, wie er redete, um alles in meinem Gedächtnis zu speichern.
Abgesehen davon, dass er unser Technik-Engel geworden war, nahm Xavier seine Verantwortung als mein «Bodyguard» so ernst, dass ich ihn immer wieder daran erinnern musste, dass ich nicht aus Glas war und recht gut zurechtgekommen war, bevor er auftauchte. Doch da Gabriel und Ivy ihn damit betraut hatten, auf mich aufzupassen, war Xavier fest entschlossen, sie von seiner Charakterstärke zu überzeugen. Er war es, der mich daran erinnerte, viel Wasser zu trinken, und der Fragen abbog, die neugierige Klassenkameraden über meine Familie stellten. Er übernahm es sogar eines Tages, für mich zu antworten, als Mr. Collins mich fragte, warum
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