Halo
am Strand. Xavier lachte in sich hinein, als er mir die Geschichte erzählte. Die Querelen der Frauen in seiner Familie amüsierten ihn. Ich stellte mir vor, dass seine Mutter sich bestimmt gut mit Gabriel verstehen würde.
Manchmal fühlte ich mich von diesem Teil von Xaviers Leben ausgeschlossen. Es war, als führte er ein Doppelleben, eins, das er mit seiner Familie und seinen Freunden teilte, und ein zweites, das von seiner tiefen Beziehung zu mir erfüllt war.
«Ist dir schon mal der Gedanke gekommen, dass wir nicht zusammengehören?», fragte ich, legte mein Kinn in die Hände und versuchte, in seinem Gesicht zu lesen.
«Nein», sagte er ohne Zögern. «Dir etwa?»
«Na ja, ich weiß, dass es nicht hätte passieren sollen. Da oben hat jemand einen ziemlichen Schnitzer gemacht.»
«Wir sind kein Fehler», beharrte Xavier.
«Nein, ich sage bloß, dass wir dem Schicksal ein Schnippchen geschlagen haben. Es war nicht das, was für uns geplant war.»
«Dann bin ich froh über die Verwechslung, du nicht?»
«Was mich betrifft, ja …»
«Aber?»
«Aber ich möchte für dich nicht zur Last werden.»
«Du bist keine Last. Manchmal bist du ein bisschen aufbrausend, und du nimmst keine Ratschläge an, aber eine Last bist du nie.»
«Ich bin nicht aufbrausend.»
«Ich vergaß hinzuzufügen, dass deine Menschenkenntnis nicht besonders gut ist, was dich selbst mit einschließt.»
Ich verwuschelte ihm das Haar und genoss dabei das seidige Gefühl an meinen Fingern. «Glaubst du, deine Familie würde mich mögen?», fragte ich.
«Natürlich. Im Allgemeinen vertrauen sie meinem Urteilsvermögen.»
«Ja, aber fänden sie mich denn nicht eigenartig?»
«Warum findest du das nicht einfach selbst heraus? Komm doch am Wochenende zu mir und lern sie kennen. Ich sollte dich sowieso fragen.»
«Ich weiß nicht», zögerte ich. «Ich fühle mich bei neuen Leuten ziemlich unwohl.»
«Sie sind nicht neu», sagte er. «Ich kenne sie schon mein ganzes Leben.»
«Ich meinte, neu für mich.»
«Sie sind ein Teil von mir, Beth. Es würde mir viel bedeuten, wenn sie dich kennenlernen könnten. Sie haben schon so viel von dir gehört.»
«Was hast du ihnen erzählt?»
«Nur, wie toll du bist.»
«Ich bin gar nicht so toll, sonst wären wir nicht in dieser Lage.»
«Völlig perfekte Mädchen haben mir noch nie gefallen. Also, wirst du kommen?»
«Ich denke darüber nach.»
Ich hatte gehofft, dass er mich fragen würde, und ich wollte gern zusagen, aber ein Teil von mir hatte Angst, anders zu sein als sie. Nach allem, was ich von seiner konservativen Mutter gehört hatte, fürchtete ich mich davor, von ihr beurteilt zu werden. Xavier versuchte, in meinem Gesicht zu lesen.
«Was ist dein Problem?», fragte er.
«Wenn deine Mutter religiös ist, dann erkennt sie vielleicht einen gefallenen Engel, wenn sie einen sieht.» Laut ausgesprochen klang es ziemlich dumm.
«Du bist kein gefallener Engel. Musst du eigentlich so melodramatisch sein?»
«Verglichen mit Gabriel und Ivy, bin ich ziemlich gefallen.»
«Trotzdem glaube ich kaum, dass meine Mutter das bemerkt. Ich musste immerhin dem göttlichen Kommando gegenübertreten, erinnerst du dich? Und ich habe nicht versucht, mich aus der Affäre zu ziehen.»
«Da hast du recht.»
«Dann ist es also ausgemacht. Ich hole dich am Samstag gegen fünf Uhr ab. Du hast gleich Literatur – ich gehe mit dir rüber.»
Als ich meine Bücher einpackte, begann draußen ein Gewitter, und der Donner hallte in der Cafeteria wider. Das Sonnenlicht, das durch die Fenster gefallen war, verschwand. Wir hatten alle gewusst, dass das herrliche Frühlingswetter nicht andauern konnte, aber trotzdem war es eine Enttäuschung. An diesem Teil der Küste konnte der Regen lange anhalten.
«Gleich fängt es an zu gießen», sagte Xavier und schaute in den Himmel.
«Auf Wiedersehen, Sonne», murmelte ich.
Ich hatte kaum ausgesprochen, als schon die ersten Tropfen fielen. Der Himmel öffnete sich, und es schüttete nur so herunter. Der Regen prasselte auf das Dach der Cafeteria. Schüler hasteten über den Hof und bedeckten die Köpfe mit ihren Schultaschen. Einige jüngere Mädchen standen im Freien, ließen sich durchweichen und lachten dabei hysterisch. Wenn sie nachher völlig durchnässt in den Unterricht kamen, würden sie ziemlichen Ärger bekommen. Ich sah Gabriel mit verstörtem Gesichtsausdruck zum Musiktrakt laufen. Der Regenschirm, den er in der Hand hielt, war von dem starken
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