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Halo

Halo

Titel: Halo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Adornetto
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mehr, wo ich war, nicht einmal, wer ich war. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, wo ich aufhörte und er begann. Es erinnerte mich an eine Stelle in «Jane Eyre», wo Mr. Rochester zu Jane sagt, dass er sie so liebt, als sei sie sein eigenes Ich. Genauso fühlte es sich an, Xavier zu lieben.
    Dann riss er sich los.
    «Du bist eine ganz Schlimme, Miss Church», sagte er hastig atmend. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Er sprach mit gezierter Stimme weiter. «Und ich bin machtlos, wenn du deine Reize ausspielst. Ich fürchte, jetzt kommen wir beide zu spät.»
    Zu meinem Glück war Miss Castle nicht die Art von Lehrerin, der Pünktlichkeit besonders wichtig war. Sie reichte mir einfach einen Schnellhefter, als ich hereinkam und mich in die vorderste Reihe setzte.
    «Hallo, Beth», sagte sie. «Wir besprechen gerade das dritte Trimester. Ich habe mich dazu entschlossen, Ihnen allen wieder eine Aufgabe im Bereich Kreatives Schreiben zu geben. Dieses Mal werden Sie in Partnerarbeit dichten. Sie werden zusammen ein Gedicht über die Liebe schreiben und vor der Klasse vortragen, was gut zu unserem Thema passt: die großen romantischen Dichter Wordsworth, Shelley, Keats und Byron. Hat jemand von Ihnen ein Lieblingsgedicht, das er mit uns teilen möchte, bevor wir anfangen?»
    «Ich», sagte eine wohlklingende Stimme von ganz hinten. Ich suchte die Gesichter ab. Wer hatte mit diesem deutlich britischen Akzent gesprochen? Über die Klasse fiel ehrfurchtsvolle Stille. Der Neue.
    Mutig von ihm, dachte ich, sich gleich am ersten Tag so weit aus dem Fenster zu lehnen. Entweder das, oder er war ausgesprochen eingebildet.
    «Vielen Dank, Jake», sagte Miss Castle begeistert. «Würden Sie zu mir kommen und es vortragen?»
    «Sicher.»
    Der Junge, der jetzt nach vorne trat, war nicht das, was ich erwartet hatte. Irgendwas an ihm ließ mir das Herz in die Hose rutschen. Er war groß und schlaksig, und sein glattes dunkles Haar reichte ihm bis auf die Schultern. Er hatte eine stark ausgeprägte Kieferpartie, die ihm ein hageres Aussehen verlieh. Seine Nasenspitze war leicht gebogen, und seine tiefliegenden Augen leuchteten jadegrün. Er lächelte spöttisch.
    Er trug schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt, und um seinen Unterarm schlängelte sich das Tattoo einer Schlange. Es schien ihm vollkommen gleichgültig zu sein, dass er an seinem ersten Schultag keine Schuluniform trug. Genau genommen strahlte er das Selbstbewusstsein eines Menschen aus, der sich selbst über alle Regeln erhaben sah. Es war nicht zu leugnen: Er sah ausgesprochen gut aus. Aber irgendetwas an ihm verriet, dass da mehr war als nur Schönheit. War es Anmut, Gelassenheit, Charme oder etwas viel Gefährlicheres?
    Jakes lüsterner Blick schweifte durch das Klassenzimmer. Bevor ich den Kopf einziehen konnte, traf sein Blick den meinen, und wir sahen uns einen Moment lang in die Augen. Er lächelte selbstzufrieden, bevor er begann.
    «‹Annabel Lee›, eine Ballade von Edgar Allan Poe», kündigte er leise an. «Vielleicht interessiert es euch, dass Poe seine dreizehn Jahre alte Cousine Virginia geheiratet hat, als er 27 war. Sie ist zwei Jahre später an Tuberkulose gestorben.»
    Die Klasse starrte ihn wie hypnotisiert an. Als er zu sprechen begann, schien seine Stimme zu fließen wie dicker Sirup. Es war die geübte, selbstbewusste Stimme von jemandem, der für gewöhnlich seinen Willen bekam, und sie erfüllte den Raum.
    «Es ist lange her, da lebte am Meer,
    Ich sag euch nicht wo und wie –
    Ein Mägdelein zart, von seltener Art,
    Mit Namen Annabel Lee.
     
    Und das Mägdelein lebte für mich allein,
    Und ich lebte allein für sie.
     
    Ich war ein Kind, und sie war ein Kind,
    Meine süße Annabel Lee,
    Doch eine Liebe, so groß, so grenzenlos,
    Wie die unsere, gab es nie.
    Wir liebten uns so, dass die Engel darob
    Beneideten mich und sie.
     
    Da kam eines Tags aus den Wolken stracks
    Ein Ungewitter und spie
    Seinen Geifer aus, einen Höllengraus,
    Und traf meine Annabel Lee.
    Und es kam ein hochgeborener Lord,
    Der holte auf immer sie von mir fort
    In sein Reich am Meer und sperrte sie
    Dort ein, meine Annabel Lee.
    Ja, neidisch war die geflügelte Schar
    Im Himmel auf mich und sie,
    Und dies war der Grund, dass der Höllenmund
    Des Sturms sein Verderben spie,
    Bis sie erstarrte,
    Und der Tod sie verscharrte,
    Meine süße Annabel Lee.
     
    Doch eine Liebe, so groß, so grenzenlos,
    Wie die unsere, gab es nie.
    So liebten Ältere nie,
    So liebten Weisere

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