Hals über Kopf: 9. Fall mit Tempe Brennan
hielt sich mit einer Hand am Fass fest und streckte mit die andere entgegen. Ich packte sie und zog mich ihm mit aller Kraft entgegen. Schmerz schoss durch meinen verletzten Ellbogen.
Wegen des ölig-glatten Schlamms an meinen Händen glitt ich wieder aus Gullets Griff. Ich fiel nach hinten, und schlammiges Wasser schloss sich über mir. Die hüfthohen Stiefel füllten sich und wurden schwer.
Adrenalin schoss mir durch den Körper. Ich drückte eine Schulter nach vorne, drehte mich um und tastete durch die Dunkelheit.
Wo war das Fass?
Mein Gott! Wo war der Alligator?
Verzweifelt strampelte ich wie ein Frosch, fand den Ufergrund mit den Händen. Ich stellte beide Füße fest auf und brach durch die Oberfläche. Gullet pfiff und deutete zu einem Seil, das er ins Wasser geworfen hatte.
Miller schrie. »Mach, dass du rauskommst, Schätzchen! Mach, dass du rauskommst!«
Einer der Moultrie-Brüder stand neben Miller. Er hatte etwas in der Hand. Er und Zamzow schauten auf etwas links von mir.
Die voll gelaufenen Stiefel erschwerten jede Bewegung – der Albtraum von letzter Nacht im Wachzustand. Alle Muskeln angespannt, stapfte ich auf das Seil zu, den Alligator im Nacken.
War es wirklich hinter mir?
Links von mir spritzte etwas. Ich machte mich auf Zähne in meinem Fleisch gefasst.
»Ziehen!«, rief Miller.
Ich griff nach dem Seil, drückte ein Knie in die Uferböschung und zog und stemmte mich nach oben. Ich spürte Gullets Hände. Ich spürte terra firma.
Einen Augenblick lang stand ich zusammengekrümmt mit zitternden Beinen da, Schlammwasser quoll mir aus den Stiefeln. Als ich den Kopf hob, reckte Miller beide Daumen und strahlte.
»Ich dachte immer, Alligatoren mögen kein Salzwasser«, keuchte ich.
»Der da ist nicht sehr wählerisch.« Grinsend holte Moultrie einen Hühnerhals aus seinem Ködereimer und warf ihn flussaufwärts.
Umgedrehte Vs kräuselten sich auf dem Wasser, als der Alligator auf den Köder zuschwamm.
Zwanzig Minuten warteten wir auf dem Pier, tranken Kaffee und sahen zu, wie der Alligator zehn Meter weiter draußen Wache schob, so tief eingetaucht, dass nur sein Rückgrat und die Spitze seines Mauls zu sehen waren. Es war nicht ganz klar, ob das Tier uns beobachtete und sein Abendessen im Auge behielt oder ob es nur döste.
»Mehr Ebbe kriegen wir heute nicht mehr.« Gullet kippte seinen Kaffeesatz auf den Schlamm. »Wer will mit Ramon kämpfen?«
Oswald Moultrie hatte uns den Namen des Alligators verraten und auch, dass er ein regelmäßiger Besucher in der Bucht war.
»Ich könnt’s ja noch mal versuchen. Nass bin ich bereits.« Nass war eine Untertreibung. Schlamm bedeckte jeden Zentimeter meines Körpers.
»Sie müssen nicht beweisen, dass Sie keine Angst vor Alligatoren haben«, sagte Miller.
»Ich habe keine Angst vor Alligatoren«, sagte ich. Was auch stimmte. Ich habe Angst vor Schlangen. Doch das behielt ich für mich.
»Ich habe jetzt eine Waffe.« Zamzow schwang eine Remington-Schrotflinte, die er aus dem Kofferraum seines Streifenwagens geholt hatte. »Wenn sich das Vieh in unsere Richtung bewegtjage ich ihm eine Ladung in den Schädel.«
»Sie müssen ihn nicht gleich töten«, bemerkte Gullet. »Schießen Sie nur in seine Richtung, und er verduftet.«
Ich gab Miller meinen Styroporbecher. »Sagen Sie Moultrie, er soll seine Köder bereithalten.«
Wie zuvor ließ ich mich vom Steg gleiten, stiefelte durch den Schlamm und stieg dann um das Fass herum in tieferes Wasser.
Der Sheriff hatte Recht. Die Flut kam. Das Wasser reichte bereits bis knapp unter den oberen Rand des Fasses.
Dieses Mal hatten wir einen Plan. Ich würde wieder untertauchen und die Schlinge um den unteren Rand des Fasses schieben. Danach würde ich die obere Seite festhalten, während Gullet und Zamzow an zwei Hilfsseilen zogen, die an der Unterseite befestigt waren.
Der Plan funktionierte, wenn auch nicht ganz ohne Zwischenfälle. Nach zwei Versuchen zog sich das zweite Seil um das Fass zusammen. Keuchend und triefend straffte ich beide Schlingen und zog prüfend daran. Alles schien gut befestigt zu sein.
Ich winkte Gullet. Gullet winkte Miller. Miller rief Tybee etwas zu. Der Motor des Streifenwagens am Ende des Stegs sprang an.
Langsam strafften sich die Seile. Das Fass bewegte sich, fiel dann aber in seine Ursprungsposition zurück.
Gullet winkte. Miller rief. Der Motor des Streifenwagens kreischte. Ich hielt den Atem an, kauerte mich hin wie ein Fänger beim Baseball und stemmte
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