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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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sein. Die Träger starrten ihn mit ausdruckslosen Gesichtern an.
    »Da die Stadt so nah ist«, sagte er barsch zu dem Anführer, »wäre es besser, Sie brächten mich zu meiner Herberge. Ich bin müde.« Er schickte sich an, wieder in die Sänfte zu steigen, aber der Anführer verstellte ihm den Weg.
    »Es tut mir sehr leid, Herr, aber ich habe meine Befehle.« Die Träger hoben die Sänfte auf ihre Schultern, drehten sich rasch um und trabten, mit ihrem Anführer als Nachhut, den Weg zurück, den sie gekommen waren. Der Richter war ganz allein zwischen den hohen, schweigenden Kiefern.

Siebentes Kapitel
     
     
    Richter Di blieb eine Weile dort stehen, nachdenklich an seinem langen Backenbart zupfend. Unheil lag in der Luft, und er wußte kaum, was er dagegen tun sollte -außer die Straße zu verlassen und im Wald unterzutauchen. Aber das würde auch nicht viel helfen, denn wenn man ihm gedungene Mörder nachgeschickt hatte, waren das sicher ausgesuchte und mit dem Gelände bestens vertraute Männer, die diesen Teil des Waldes inzwischen längst umzingelt hatten. Er beschloß, erst festzustellen, ob seine Befürchtungen überhaupt begründet waren. Es bestand eine schwache Chance, daß die Träger auf Befehl der Dame Hortensie handelten, die aus irgendeinem Grunde nicht wollte, daß man offen sah, wie er in einer Palastsänfte in die Stadt zurückgebracht wurde. Und der Offizier am Tor könnte die Sänfte inspiziert, sein Schwert unter der Bank gefunden und es konfisziert haben. Er mußte etwas tun, um es zurückzubekommen, denn es war eine berühmte, vor langer Zeit von einem großen Schwertschmied angefertigte Klinge, ein wertvolles Erbstück in seiner Familie seit vielen Generationen. Er schob das flache Kästchen an die Brust unter sein Gewand und ging, sich am Rand der Straße haltend, langsam im Schatten der Bäume voran. Es war nicht sinnvoll, sich einem ehrgeizigen Bogenschützen als Ziel zu präsentieren.
    In regelmäßigen Abständen blieb er stehen und lauschte. Nichts deutete darauf hin, daß ihm jemand folgte, aber auch kein noch so schwaches Geräusch verriet ihm, daß er sich in der Nähe der Stadt befand. Gerade als er um eine Kurve biegen wollte, vernahm er einen seltsam schnaubenden Laut weiter vorn.
    Rasch duckte er sich in das Dickicht und lauschte erneut. Nun hörte er einen Ast knacken. Vorsichtig die Zweige teilend, arbeitete er sich durch die Büsche vorwärts, bis er eine große, dunkle, schemenhafte Gestalt zwischen den Kiefern erkannte. Es war ein alter Esel, der dort graste.
    Als der Richter zu ihm ging, sah er ein Paar Krücken an dem knorrigen Stamm eines riesigen Baumes am Straßenrand lehnen. Darunter saß Meister Kalebasse zusammengekauert auf einem moosbedeckten Stein. Er trug immer noch sein geflicktes braunes Gewand, aber sein graues Haupt war entblößt, nur ein schwarzes Stück Tuch, die traditionelle Kopfbedeckung der taoistischen Einsiedler, verhüllte den obenauf getragenen Haarknoten. Seine Kalebasse stand zu seinen Füßen. Der alte Mann sah auf.
    »Sie sind noch spät auf den Beinen, Doktor.«
    »Ich habe einen Spaziergang gemacht, um die frische Abendluft zu genießen. Ich muß mich verirrt haben.« »Wo ist Ihr Schwert?« »Man sagte mir, es sei völlig sicher, sich unbewaffnet hier zu bewegen.«
    Meister Kalebasse rümpfte die Nase.
    »Ich nahm an, Sie hätten gelernt, nicht alles zu glauben, was die Leute sagen. Als Arzt.« Er tastete nach den Krücken hinter sich. »Na schön, ich werde Sie wieder führen. Kommen Sie, Sie werden keine Schwierigkeiten haben, mit diesem betagten Reittier Schritt zu halten.« Er band die Kalebasse an seinen Gürtel und kletterte auf den Esel.
    Richter Di empfand Erleichterung. Mit einer wohlbekannten Gestalt wie Meister Kalebasse als Zeuge würde der Feind keinen offenen Angriff riskieren. Nachdem sie eine Weile gegangen waren, sagte er mit einem schwachen Lächeln:
    »Als ich Ihnen heute nachmittag in den Wäldern auf der anderen Seite der Stadt begegnete, haben Sie mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt, wissen Sie! Meine Augen waren wund und das Licht schlecht. Für einen kurzen Moment glaubte ich, meinen Doppelgänger zu sehen.«
    Meister Kalebasse brachte seinen Esel zum Stehen.
    »Sprechen Sie nicht leichtfertig von ernsten Dingen«, sagte er tadelnd. »Niemand ist nur einer; wir alle sind eine Summe von vielem. Aber wir vergessen leicht unsere weniger zufriedenstellenden Bestandteile. Wenn es einem davon gelingen sollte,

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